aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Hungrig und entkräftet - trotzdem Spezialkommando

von Josef Michitsch,
Inlauf bei Morobitz,
Hagen  / Deutschland

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Mein Name ist Josef Michitsch aus Inlauf bei Morobitz. Diesen Ort kennt nicht jeder Gottscheer, aber wenn ich sage, da hinten von der Krempe bin ich, so weiß ein jeder Bescheid. Meine Eltern Johann und Maria Michitsch sind schon verstorben.

Wir sind 1941 in die Untersteiermark umgesiedelt und kamen nach Niederdorf, nicht weit von Gurkfeld. Im Jahre 1944 wurde ich zum Arbeitsdienst nach Oberösterreich eingezogen. Von da kam ich zur Wehrmacht und bekam meine Ausbildung im 31. Panzerregiment. Von da aus wurde ich zur Waffen-SS nach Hallein überstellt. Da ich schon einen Teil der Ausbildung hinter mir hatte, brauchte ich bei der Waffen-SS nicht mehr die volle Ausbildung zu machen.

Welche Einheit war das?

Ich war bei der 6. Gebirgsverteidigung. Das war die 13. SS, die war damals im Südosten, wo die genau lagen, wußten wir auch nicht. Aber im Südosten war sie. Ich war auch noch da im Einsatz und von da aus kam ich nach Frankfurt/Oder an die Ostfront. Da waren die Russen. In einer schweren Schlacht hat man uns total aufgerieben. Da war zuerst die Wehrmacht eingesetzt, aber sie schien der russischen Übermacht nicht standhalten zu können. Sie haben auch nicht die Waffen gehabt, die wir hatten. Wir beka­men den Auftrag zu verhindern, daß die Russen mit ihren Panzern über die Oder kommen. Das haben wir auch geschafft. Da wurde ich am 28. Februar 1945 verwundet, kam ins Feldlazarett und von da aus ins Lazarett nach Schmalkalden. Zwei Monate später, am 4. April kam der Amerikaner. Bevor sich die Amerikaner aus die­sem Gebiet zurückzogen und es die Russen übernahmen, habe ich mich weggemeldet, um nicht noch in russische Gefangen­schaft zu geraten, obwohl meine Wunden noch ganz frisch und offen waren. Ich kam dann in ein Lager, das früher eine Zigar­renfabrik war, das Essen war knapp, wir wurden überhaupt nie satt. Die Bevölkerung wollte uns schon mal ein bißchen mit Verpflegung unterstützen, sie brachten Brot und Kartoffelsalat ins Lager, aber die Amerikaner ließen nichts durch, die ließen uns nichts zukommen. Die Frauen mußten so, wie sie gekommen sind, den Kartoffelsalat und das Brot auf dem Wagen wieder mitneh­men. Und wir mußten hungern. Das war wohl in Niedersachsen. Wir waren bestimmt an die 14.000 Mann da. Da hat man uns gemustert. Wehrmacht dahin und Waffen SS dorthin. Danach wurden wir in ein anderes Lager verlegt. Den Namen dieses Lagers weiß ich nicht mehr. Wir waren etwa 7.600 Mann, nur Waffen-SS. Wir lagen wochen- und monatelang unter freiem Himmel und es regnete und regnete. Wir standen im tiefen Schlamm. Stellen Sie sich vor, über 7.000 junge Männer durchnäßt, kein Dach über dem Kopf, im Schlamm stehend und hung­rig. Was wir da mitgemacht haben, kann man sich kaum vorstel­len.

Am 5. September kamen wir nach Frankreich. Das erste Lager war in Belfort und da haben die Franzosen doch ein bißchen Angst gehabt, daß wir in die Schweiz stiftengehen könnten. Deshalb haben sie uns dann nach Epinal abgeschoben. In Epinal waren wir auch nicht sehr lange. Von da aus kamen wir dann ins Bergwerk nach Charlon. Weil wir aber so fertig waren, die haben uns hier in Deutschland so fertig gemacht, kamen wir aus dem Bergwerk raus und mit Offizieren in das Hauptlager nach Charlon. Das war ein großes Lager mit 14.000 bis 15.000 Mann, das zweitgrößte in Frankreich. Durch die permanente Unter­ernährung war ich so geschwächt, daß ich nicht mehr aufstehen konnte. Ich wurde dann mit 7 Mann einem französischen Arzt zur Entlassung vorgestellt. Wir waren Fälle, die nur noch von heute auf morgen zu leben hatten. Aber wegen meiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS konnte es der Arzt nicht durchsetzen, ich mußte im Lager bleiben. Unser Arzt hat sich jedoch soweit eingesetzt, daß ich täglich 1/4 1 Suppe, eine Mehlsuppe kann man sagen, eine Haferflockensuppe ja, zusätzlich bekam und so hat man mich doch soweit aufgepäppelt, daß man mich nach einiger Zeit zum Straßenbau abschieben konnte. Das war ein kleines Lager auf einem Boot, das auf dem Wasser eines Kanals lag. Ein klei­nes Arbeiterschiff bildete die Unterkunft für 34 Mann und nebenan war noch so eine kleine Baracke, da waren 1 + 4 Mann. Wir wurden im Straßen- und im Kanalbau eingesetzt. Diesen Haupt­kanal haben sie im Juni 1946 leerlaufen lassen und wir mußten die Ausbesserungsarbeiten ausführen. Wir wurden schließlich ein Spezialkommando für diese Arbeiten. Das war bei den Franzosen das Komische, wenn man etwas anständig gemacht hat, wurde man gleich das Spezialkommando auf diesem Gebiet und kein anderer.

Was mich damals sehr quälte, war, daß ich nicht wußte, ob meine Eltern überhaupt noch am Leben sind. Ich habe überall hingeschrieben, nach Genf ans Rote Kreuz, nach Wien, nach Graz. Endlich bekam ich aus Graz, ja aus Graz vom Roten Kreuz ein Schreiben, daß sie meine Eltern aufgefunden haben: Johann, Maria, Alois. Alles stimmte, nur die Geburtsdaten nicht. Wieder zu früh gefreut. Was machen wir nur? Ich entschloß mich, an die gleichnamige Familie zu schreiben. Die gingen zu einem Gottscheer, der sich im gleichen Lager wie meine Eltern befand und so kam mein Brief in die Hände meiner Eltern. Ich bekam dann nach Jahren das erste Schreiben von meiner Familie. So erfuhr ich, daß meine Eltern noch am Leben sind.

Ja, ich habe zwar meine Eltern gefunden, aber in Kontakt konn­ten wir dann immer noch nicht bleiben. Jedoch einen Brief von mir hatten sie nun und das war schon wichtig, daß sie ein Lebenszeichen von mir hatten. Mein Bruder, der war unten in der Steiermark auch bei der Wehrmannschaft und kam in jugoslawi­sche Gefangenschaft. Jetzt war er unten in Gefangenschaft und ich in Frankreich. Der kam noch etwas später aus der Gefangen­schaft als ich. Ich kam Ende 1947, ja und wurde nach Innsbruck entlassen, erst nach Tuttlingen, das ging und von dort nach Innsbruck. Da blieb ich eine Zeitlang und dann ging ich nach Kapfenberg. Ich kam in der Nacht an. Ein gewisser Högler hat mich in ein Zimmer geführt, da waren aber viele Familien in die­sem Zimmer. Da mußte ich erst mal schauen, wo meine Eltern waren und die lagen gleich rechts von der Tür. Da sagte ich: Mutter, kennst Du mich nicht mehr? Da war es so weit, da war ich eben wieder bei meinen Eltern, ja. Ja, und … kam nachher als Auswanderer in die Bundesrepublik.

Zwischenbemerkung: Moment, was haben Sie in Kapfenberg gemacht, haben Sie Arbeit gehabt?

In Kapfenberg war ich zunächst bei den Engländern und habe mir dann eine Arbeit gesucht in einer Chemiefabrik, die haben Schwefel-Kohlenstoff erzeugt, ja, da arbeitete ich fünf Jahre.

Frage: Fünf Jahre?

Ja, fünf Jahre. Da haben sie 42 Mann abgebaut, weil sie keinen Schwefel-Kohlenstoff nach dem Osten liefern durften. Das legte ein Vertrag mit Amerika fest, nach dem Osten nicht zu liefern. Natürlich haben sie 42 Mann entlassen, die weniger als 5 Jahre beschäftigt waren und ich war einer davon. Nach einigen Tagen habe ich in einer Ziegelfabrik angefangen. Akkordlohn wurde verabredet, aber entgegen unserer Abmachung sollten wir Stundenlohn bekommen. In Akkord verdient man ganz gut und nun doch nur Tagelohn. Damit war ich nicht einverstanden und bin mit drei Mann abgehauen, Ein gewisser Schager und sein Bruder. Wir fanden in einem Holzverarbeitungsbetrieb Arbeit und wurden in der Abteilung Imprägnierung beschäftigt. Es war schwere Arbeit.

Schon damals kümmerten wir uns um unseren zurückgelassenen Besitz und da hat man uns gesagt: Ihr gehört da nach Deutschland raus, da müßt ihr anfordern, wenn ihr wirklich was zu fordern habt. Wir hatten damals schon alle Papiere über unseren Besitz, die haben wir vorher von Berlin angefordert und auch bekommen. Nach vielen Überlegungen und langem Hin und Her kamen wir zum Schluß, daß wir damals unseren Besitz an das deutsche Volk, an das deutsche Reich also abgegeben haben, und somit auch da und nicht in Osterreich etwas zu fordern haben. Deswegen sind wir dann am 4. April 1954 nach Deutschland gegangen.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994