Vereinsgeschichte der GLM Graz

Als nach dem Ersten Weltkrieg die Habsburgermonarchie zerfiel, brach über weite Teile des Reiches eine Zeit der Bedrängnis und völliger Änderung der Lebensverhältnisse herein. Dies traf auch auf die Sprachinsel Gottschee zu: Die Gottscheer, durch Jahrhunderte dem habsburgischen Großreich zugehörig, wurden jugoslawische Staatsbürger.
Die damals in der Steiermark wohnenden Gottscheer hatten plötzlich ihre Heimat verloren, in die sie ihr Herz zog, die nüchterne Überlegung hingegen zwang sie, an der Stätte ihres bisherigen Wirkungskreises zu bleiben. Wie aus allen durch die Friedensverträge abgetrennten Teilen der Monarchie, so kamen auch aus Gottschee Menschen in die junge Republik Osterreich. Diese war kaum imstande, die vielen Zugewanderten aufzunehmen und ihnen materielle Sicherstellung zu bieten. In diesen Tagen erkannten einsichtige Landsleute, dass es notwendig war, die Gottscheer in einem Verein zusammenzufassen.
Am 18. Mai 1919 lud Oberkontrollor Josef Ramor rund fünfzig Gottscheer zur Gründungsversammlung des Vereins „Gottscheerland in Graz“ ein. Bald schälten sich die Grundaufgaben des Vereins heraus.
Er sollte den in der Steiermark lebenden Gottscheern, die ihre Heimat verloren hatten, das Gefühl geben, dass Österreich, und hier die Steiermark, gewillt war, ihnen eine neue Heimat zu geben. In der Folge sollte den vielen Landsleuten, die die Heimat verlassen hatten, geholfen werden, Fuß zu fassen.

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Der Kapfenberger Kinderchor war am 16. August 1956 im Studio des Grazer Senders zu einer Aufnahme geladen. Wir sehen die Gruppe; vorne das Ehepaar Schneller.

Nicht zuletzt sollte allen Gottscheern das Gefühl vermittelt werden, daß sie einer Gemeinschaft angehören. Dieser Gemeinschaftspflege dienten die Besinnung auf die angestammte Kultur, Sprache und die Volksbräuche, die Fortsetzung der gesellschaftlichen Kontakte aus der heimischen Umgebung, kurz, es sollte die Heimat in die neue Heimat „übertragen“ werden. es sollte die Verbundenheit mit ihr weiterbestehen und so das Wesen des Gottscheers lebendig erhalten bleiben.
Besondere Hilfe wurde jenen Gottscheern zuteil, die ohne jegliche Habe in die Steiermark gekommen waren. Vor allem galt es, Barmittel zur Verfügung zu stellen, auch wurden Studierende unterstützt. Verdienstvoll bemühte sich Polizeioberkommissär Dr. Anton Jaklitsch (Reabasch Töne aus Mitterdorf) darum, den vielen Hausierern bei der Bewilligung des Gewerbes an die Hand zu gehen. Jeder der eingesessenen Gottscheer versuchte, das Seine dazu beizutragen, sei es durch Ratschläge, sei es durch Hinweise, wie der Weg durch Ämter und Behörden erfolgversprechender zurückgelegt werden könne. Und die Gottscheer, die neu in die Steiermark gekommen waren, erkannten bald, dass sie hier viele hilfswillige Landsleute fanden: dies nahmen sie dankbar zur Kenntnis und reihten sich gerne in diese vereinsmäßig zusammengeschlossene Gemeinschaft ein. Mit großem Eifer und aufopferndem Einsatz widmeten sie sich ihren neuen Aufgaben und wurden zu treuen und fleißigen Bürgern der Republik Osterreich.

ausweise

Der Ausweis des Hilfsvereins für die Gottscheer (Deutschkrainer) in Graz trug auf der ersten Seite den Namen des Vereins sowie das Gottscheer Wappen mit einem sinnigen Spruch. auf der letzten Seite waren acht Kästchen für die Bestätigung des eingezahlten Jahresbeitrages, der „mindestens“ 24 Schilling betrug, angebracht. Die beiden Innenseiten des Ausweises Nr. 348, lautend auf Ferdinand Novak, seine Frau Hilde, geborene Mantel und die drei Kinder, sehen wir auf dem Bilde. Der Ausweis wurde am 1. Jänner 1953 ausgestellt und von Prim. Dr. Linhart gezeichnet.

Der Verein genoss Ansehen, er umfasste in kurzer Zeit an die 150 Mitglieder. Monatlich fanden Zusammenkünfte zur Pflege des geselligen Kontaktes statt. Schnell strahlte er aus, und schon im Jahre 1919 wurde eine Zweigstelle in Klagenfurt gegründet; diese wurde 1928 selbständig. Diese allgemeine Aktivität des Vereins stellt dem Obmann, Josef Ramor, der ihm bis 1929 vorstand, das beste Zeugnis aus. Nachdem er seine Stelle zurückgelegt hatte, wurde er zum Ehrenobmann gewählt, seine langjährigen Mitarbeiter Dr. Walter Linhart und Hans Michitsch zu Ehrenmitgliedern. Als Obmann folgte der bisherige Stellvertreter, Prof. Dr. Othmar Herbst, Lehrer an der Bundeslehrerbildungsanstalt in Graz, ein profilierter Pädagoge, der Jahrzehnte im Dienste der steirischen Lehrerausbildung arbeitete. Er stand dem Verein bis zum Jahre 1947 vor, wobei gesagt werden muss, dass in der Zeit, in der Osterreich zum Deutschen Reich gehörte, keine Zusammenkünfte stattfanden. Sofort nach Kriegsende jedoch wurde der Verein aktiv und widmete sich der Betreuung der aus den Vertreibungsgebieten gekommenen Landsleute.
Hervorgetan haben sich in jenen Tagen die Landsleute General Paul Eppich, Dr. Franz Perz und Dr. Plautz (letzterer stammte aus Laibach). Als 1947 Prof. Dr. Herbst die Obmannstelle niederlegte, wurde der Ebentaler General Eppich sein Nachfolger; aber schon 1948 legte er die Stelle zurück, und Professor Herbst stellte sich noch einmal zur Verfügung; sein Stellvertreter war Ing. Otto Rieger, aus Oberkrain stammend. Der Verein änderte seinen Namen in „Hilfsverein für die Gottscheer und Deutschkrainer“.
1949 gab es wieder einen Obmann-Wechsel: Schuldirektor Hans Eppich aus Altlag übernahm die Verantwortung, Ing. Otto Rieger, Postinspektor Franz König und Finanzinspektor Erich Sterbenz standen ihm zur Seite. Immer noch war es das erste Ziel des Vereins, die Not der geflüchteten, heimatlosen Landsleute, die fast durchwegs ohne jeden materiellen Rückhalt dastanden, zu lindern. Der Verein warf seine Beziehungen zu den Landes- und Bundesstellen in die Waage, vor allem aber wurde Verbindung mit den Gottscheern in Übersee gesucht und gefunden.
Von hier aus geschah nun wirklich nachdrückliche, große Hilfe, die den Heimatlosen über die triste Zeit hinweghalf. Das Gottscheer Hilfswerk sprang entscheidend ein, und zwar besonders (aber nicht nur) zu Weihnachten; die Hilfsgüter, besonders Sachspenden, langten das ganze Jahr über ein. Auch ging man daran, das in der Heimat zurückgelassene Vermögen zu erfassen. Um all diese Arbeiten zu koordinieren, wurde 1954 eine Prüfungskommission ins Leben gerufen, der Primarius Dr. Walter Linhart vorstand, es gehörten ihr weiters RA. Dr. Walter Egger, Friedrich Petsche und Erich Sterbenz an.
Landsmann Heinrich Wittine wirkte als Seelsorger bei den Gottscheern, insbesondere war er im Flüchtlingslager Kapfenberg tätig, er gestaltete 1953 eine Weihnachtsfeier für Kinder und Jugendliche. Im Jahre 1954 versuchten es die Gottscheer in Graz mit ihrem ersten Heimatball, er wurde zu einer alljährlich wiederkehrenden Veranstaltung der Gottscheer in der Steiermark.
Wesentliche Erleichterungen brachte das „Gmundner Abkommen“, abgeschlossen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich, für die Volksdeutschen, also auch für die Gottscheer.

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Heinrich Wittine inmitten der Jugendgruppe, die er betreute (Sommer 1953. Graz).

Die Einbürgerung in Osterreich wurde vereinfacht, und ein Personenkreis mit niedrigerem Einkommen, besonders traf dies auf die Landwirtschaft zu, erhielt die österreichische Staatsbürgerschaft, ohne die hohen Gebühren erlegen zu müssen. In Wien wurde ein Dachverband der volksdeutschen Landsmannschaften gegründet (abgekürzt VLÖ), auch die Landsmannschaft in Graz trat ihm bei. Die VLÜ wurde Verhandlungspartner der österreichischen Bundesregierung.
Wegen der Ereignisse in diesem Jahrhundert hatte ein gewisser Teil der Gottscheer fünfmal die Staatsbürgerschaft gewechselt: als Bürger der österreichisch-ungarischen Monarchie geboren, wurden sie 1918 Staatsbürger des neu gegründeten Staates der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS, des späteren Jugoslawien); dieser Staatsangehörigkeit folgte 1941 jene von Italien, dann die des Deutschen Reiches, und nunmehr, in den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts, die österreichische. Nach dem Abschluss des Österreichischen Staatsvertrages 1955 erhielten jene Gottscheer, die vor 1938 bereits Österreicher waren und in Gottschee Besitzungen hatten, Refundierungen durch die Republik Österreich: bei der Antragstellung leistete die Landsmannschaft wertvolle Dienste.
Am 17. Juni 1956 fand das erste Sommerfest der Alt-Gottscheer in der Brauhausrestauration in Graz-Puntigam statt. Delegationen verschiedener Landsmannschaften, darunter auch Vertreter aus den USA, waren erschienen. Bei diesem Fest trat eine Gruppe in den neu angeschafften Trachten auf.
RA. Dr. Ferdinand Siegmund, Ausschussmitglied der Gottscheer Landsmannschaft in Graz, setzte sich voll dafür ein, dass die Spareinlagen, die im Ansiedlungsgebiet getätigt wurden, ausbezahlt würden; besonders Postsparbüchern galt sein Augenmerk. Die Postsparkasse begann auch mit der Auszahlung kleinerer Beträge; leider wurde die Aktion eingestellt, ehe sie richtig anlief.

Vom 8. bis 9. Juni 1957 fand ein größeres Treffen der Gottscheer in Graz-Puntigam statt, ein Jahr später trafen junge Gottscheer Burschen und Mädel einander das erste Mal in Graz.
Ober das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland wurden als Leistungen der Bundesrepublik Härtebeihilfen gewährt, die den Betroffenen äußerst willkommen waren. Der Hilfsverein gewährte im Jahre 1960 kleinere Beträge als Studienbeihilfen. Im selben Jahr wurde der „Hilfsverein“ in „Gottscheer Landsmannschaft Graz“ umbenannt.
Das 1961 zwischen der Bundesrepublik und Österreich in Bad Kreuznach geschlossene Abkommen brachte den Gottscheern die Hausratsentschädigung. Damals umfasste die Landsmannschaft in Graz 1300 Mitglieder, und die Geschäftsführung hatte alle Hände voll zu tun, um den Antragstellern behilflich zu sein. Im Jahre 1976 kam das „Aushilfsgesetz“ für alle Kriegsgeschädigten mit niedrigem Einkommen: auch viele Gottscheer erhielten diese einmalige Aushilfe in der Höhe von 15.000 Schilling. Ebenso brachte (und bringt) das Abkommen zwischen der Bundesrepublik und Osterreich, betreffend die Regelung der Pensionen (laut Ziffer 19), merkbare Zuschüsse zu den Pensionsleistungen Osterreichs.

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Im Jahre 1958 war Karl Stalzer, New York, auf seiner Europareise auch Gast der Gottscheer Landsmannschaft in Graz.
Unser Foto zeigt, wie ihm die Landsleute in Herzlichkeit Beifall spenden.

Ohne die alljährlich durchgeführten Veranstaltungen einzeln aufzuzählen, sei summarisch angeführt, daß pro Jahr zwei bis drei staatfinden. Die Vereinsleitung sieht es als selbstverständlich an, daß ihre Mitglieder an Feiern anderer Gottscheer Vereine teilnehmen, besonders an der Gottscheer Kulturwoche mit abschließender Wallfahrt in Klagenfurt und an den Veranstaltungen der „Gottscheer Gedenkstätte“ in Graz-Mariatrost. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 850 Jahre währenden Bestehen der Landeshauptstadt Graz leistete die Gottscheer Landsmannschaft in Graz durch eine eigene Feier einen besonderen Beitrag.
Abschließend sei noch der Landsleute gedacht, die sich seit 1950 um das Vereinsleben besonders verdient gemacht hatten. In diesem Jahre übernahm Primarius Dr. Walter Linhart die Obmannstelle, Dr. Walter Egger, Friedrich Petsche und Erich Sterbenz standen ihm als Ämterführer zur Seite. Im Jahre 1958 wurde Dr. Helmuth Karnitschnig Obmann, es unterstützten ihn Dr. Ferdinand Siegmund, Franz Wittreich, Friedrich Petsche, Elfriede Perz und Oberschulrat Matthias Schneller. Im Jahre 1963 wurde Josef Petsche (Grafenfeld, später Mösel) zum Obmann gewählt, als Mitarbeiter fungierten Friedrich Hutter, Amalia Jakomini und Friedrich Petsche. Einen weiteren Obmannwechsel brachte das Jahr 1968 mit Hellmut Bartelme; Stellvertreter wurde Johann Schemitsch (Mösel), Geschäftsführer Maria Grill (geborene Hönigmann aus Mitterdorf), Kassier Friedrich Petsche aus Grafenfeld. Letzterer wurde 1973 Obmann der Landsmann¬schaft, als Ämterführer unterstützen ihn Friedrich Hutter, Dr. Wilfried Schweiger, Maria Grill, Hilde Novak und Heinrich Lackner.
Erwähnt müssen noch Gendarmeriebezirksinspektor i. R. Franz Jonke als grün¬dendes Mitglied des Vereins „Gottscheerland in Graz“ werden. weiters als Mitglied seit der Gründung, d. h. seit 1919, die Witwe nach Hofrat Dr. Anton Jaklitsch, Thea, sowie Josef Michitsch.
Das also ist die Geschichte der Gottscheer Vereinigung in Graz vom „Gottscheerland“ bis zur „Landsmannschaft“. Inzwischen hat sich das Weltbild geändert, Regierungssysteme und Grenzen vergingen, was blieb, war der Gottscheer, der zwar die Heimat verloren hatte, der aber trotzdem seinem Stamme treu blieb und die besten Eigenschaften dieser Volksgruppe nicht verloren hatte, sondern sie in seinen jeweiligen Heimatländern zu deren Nutzen einsetzte. Zwar ist unser Gottscheer Land, wie wir es kannten, untergegangen, verfremdet, es gehört der Vergangenheit an und lebt nur noch in unserer Erinnerung, der Mensch aber hat sich behauptet, dank seinem Fleiße, seiner Treue zur Gemeinschaft, seiner Gabe, sich anpassen und einordnen zu können. Er wird sich dank dieser seiner Eigen-schaften noch viele Generationen halten, zum Wohle der Gottscheer Gemeinschaft und des neuen Staates, in den ihn das Schicksal verschlagen hat.
Die 600-Jahr-Feier der Gottscheer wurde im Jahre 1930 in der Heimat gefeiert, heute, zu den Feiern „650 Jahre Gottschee“, beteiligen sich an den Veranstaltungen Gottscheer Gemeinschaften in aller Welt. Die Gottscheer Landsmannschaft in Graz ist stolz darauf, an diesen Feiern mitwirken zu können, und verspricht, auch im Namen all ihrer Mitglieder, der Gottscheer Gemeinschaft weiterhin die Treue zu halten.

Friedrich Petsche
OSR. Ernst Erker

Am 6. Juni 2009 wird mit einem Festakt im Hotel Weizer in Graz und am 7. Juni mit einem Festgottesdienst in Graz-Mariatrost das „90 Jahr Jubiläum der Gottscheer Landsmannschaft“ in Graz gefeiert.

Aus Anlass dieser Feier hat die Familie Stieber einen 43 minütigen Film über den Verein erstellt und im Hotel Weitzer vorgestellt.

Am 16. Jänner 2010 beschließt die Generalversammlung der Gottscheer Landsmannschaft in Graz die Auflösung des Vereines mit 31. Jänner 2010, ohne dies vorher anzukündigen und ohne die anderen Gottscheer  Landsmannschaften von diesem Vorgang zu informieren.

Ein Teil der Besitztümer geht zur Aufbewahrung an die Gottscheer Gedenkstätte in Graz, der Rest kam in das Steiermärkische Landesarchiv.

Eine Auflistung dieser Besitztümer ist leider nicht öffentlich bekannt. Da die Gottscheer Landsmannschaft Graz nach Wien die größte und zweitälteste Landsmannschaft in Österreich war, waren sicher besondere „Schätze“ vorhanden.

Aus – Ende.

Quellenangaben:

Friedrich Petsche, Ernst Erker
650 Jahre Gottschee
Festbuch 1980
Hrsg.: Gottscheer Landsmannschaft Klagenfurt
Grafischer Betrieb Carinthia, Klagenfurt
Seite 219-224