Umsiedlung, Vertreibung, Flucht und Neubeginn

Hermann Leustik

Dieser Artikel wurde für das Programmheft der Gottscheer Kulturwoche 2017 verfasst

Über 600 Jahre, von ca. 1300 bis zum Winter 1941/1942 bestand die deutsche Sprachinsel Gottschee. Das Gottscheer Land, 60 km südlich von Laibach/Ljubljana gelegen, wurde von Frauen, Männern und Kindern aus Oberkärnten und Osttirol besiedelt. Sie rodeten den vorhandenen Urwald, kultivierten das Land und fristeten mit dem Ertrag der bescheidenen Landwirtschaft, die das karstige Land ermöglichte und dem Waldeinschlag ein karges Leben. Vielfach mussten sie von Neuem beginnen, da ihnen Türkeneinfälle, Franzosenkriege, Seuchen und andere Ereignisse stark zusetzten.

Die Wirtschaft des Gottscheer Landes entwickelte sich trotzdem stetig nach vorne, was auch mit einer Steigerung der Bevölkerungszahl einher ging. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Zahl der Einwohner auf 26.000 Personen gestiegen. Die Wirtschaftskriese und der Tatsache, dass der Gottscheer Boden für die große Anzahl von Einwohnern zu wenig hergab, veranlasste viele Gottscheer ab 1870 zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Verheiratete Väter, aber auch Mütter, kehrten nach einiger Zeit, wenn sie genug Geld verdient hatten, um den eigenen Hof zu erhalten, wieder nach Gottschee zurück, die Jugend allerdings begann fern der Heimat eine neue Existenz aufzubauen. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 ebbte zwar die Auswanderungswelle ab, aber bis dahin waren bereits einige kleine Dörfer verlassen und viele Häuser in den restlichen Dörfern unbewohnt. Mit Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie gab es im Gottscheer Land noch ca. 14.000 Einwohner, während bereits über 25.000 Gottscheer in den Vereinigten Staaten und Kanada ihre neue Heimat hatten.

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Eines der bereits nach dem Ersten Weltkrieg verlassenen Häuser in Gottschee.
Foto: Herbert Otterstädt

Die deutschsprachigen Gottscheer lebten über Jahrhunderte, bis zum Endes des Ersten Weltkriegs in Eintracht und Frieden mit ihren slawischen Nachbarn. Weitreichende Wälder boten den Gottscheern einen natürlichen Grenze zu den Nachbarn, im Westen, Norden und Osten gab es Ortschaften, die direkt an slowenische Gemeinden grenzten, im Süden solche, an kroatische. Die Bewohner unterschiedlicher Sprache und Kultur hatten regen Handel mit den Nachbargemeinden und nichts deutete zu dieser Zeit auf kommende Probleme hin.

Das Ende des Ersten Weltkrieges und der Zusammenbruch der Monarchie führten zu einer Neuordnung von Europa und leitete leider auch den Anfang vom Ende des deutschsprachigen Gottscheer Landes ein. Am 1. Dezember 1918 konstituierte sich der SHS Staat (Staat der Serben, Kroaten und Slowenen) und ab diesem Zeitpunkt war Gottschee Teil eines Staates mit slawischen Staatsprachen. Der SHS-Staat trat zwar dem Friedensvertrag mit Österreich vom 10. September 1919 bei und verpflichtete sich damit auch, Schutzbestimmungen für Minderheiten, zu denen auch die Gottscheer zählten, einzuhalten.

Doch bereits mit Ende Dezember 1918 wurden die ersten deutschsprachigen Beamten entlassen, deutsche Schulen und das deutsche Gymnasium in slowenische Institutionen umgewandelt. Deutsche Vereine wurden aufgelöst und deren Besitztümer wie das Studentenheim, das Waisenhaus, das Krankenhaus konfisziert, Kultureinrichtungen wurden geschlossen und in Slowenien die slowenische Sprache als alleinige Staatsprache eingeführt. Die entlassenen Beamten und Lehrer mussten in die Steiermark und nach Kärnten umsiedeln, bereits 1919 waren über 30 Gottscheer Lehrer in Kärnten tätig. Mit der Entlassung der Gottscheer Beamten wurde die Einwanderung von slowenischen Beamten und Lehrern forciert, um die Minderheit zu schwächen. 1921 wurde den deutschsprachigen Gottscheern auch das Wahlrecht für die Kommunalwahlen entzogen, somit bekam Gottschee/Kocevje einen slowenischen Bürgermeister.

1924 wurden die deutschen Ortsnamen verboten. Von den slawischen Nationalisierungsbestrebungen waren besonders die Schulen betroffen. Bald gab es keine deutschen Schulen mehr, nur mehr vereinzelt deutsche Klassen. Gottscheer Kinder wurden in slowenische Klassen versetzt, mit dem Vorwand, sie hätten weitschichtige slowenische Vorfahren. Die Vornamen von Gottscheer Kindern wurden slawisiert, aus einem Josef wurde z.B. ein Jože.

1930 war man noch zuversichtlich. Aufwendig wurde die 600-Jahr-Feier in der Stadt gefeiert.
Foto: Dornig

Die wirtschaftliche Lage in Gottschee wurde immer schlechter, beigetragen dazu hat auch die im Jahre 1934 erfolgte Enteignung der Auersperg’schen Besitzungen und die damit verbundenen Entlassung von fast allen Gottscheer Arbeitern und Angestellten.

Eine Verwaltungsreform 1933 brachte für einige Gottscher Randgebiete insofern eine Schlechterstellung, da diese slowenischen Nachbargemeinden zufielen. Ab 1937 war es Gottscheer nicht mehr möglich, Grundbesitz zu erwerben, da sie Ausländern gleichgestellt wurden. Sparguthaben wurden eingefroren und somit war es vielen Gottscheern in Notlagen nicht mehr möglich, Schulden zu begleichen und sie mussten deshalb eigenen Grund und Boden an Slowenen verkaufen. Die Fälle von Rechtsunsicherheit und der Rechtsmissbrauch durch die slowenischen Behörden nahm ein immer größeres Ausmaß an.

Durch diese Notlage der Gottscheer Bevölkerung und der damit verbunden Aussichtslosigkeit lies viele Gottscheer natürlich auf eine Hilfe von außen, auf Hilfe von Deutschland hoffen. Die Unterdrückung, Verfolgung, Unsicherheit und Verachtung lies bei vielen Gottscheern den Wunsch aufkommen – heim ins Reich.

Dann brach der Zweite Weltkrieg aus. Truppen des Deutschen Reiches überrannten in Blitzkriegen weite Teile von Europa. Am 6. April 1941 begann der Balkanfeldzug, bereits 10 Tage später kapitulierte die Armee des SHS-Staates. Das ehemalige Kronland Krain wurde auf Grund eines Abkommens zwischen Hitler und Mussolini auf das Deutsche Reich und Italien aufgeteilt. Das Gottscheer Land fiel mit der Provinz Laibach wie befürchtet an Italien. Bereits am 23. April 1941 besetzten die Italiener Gottschee, sie ließen sogleich die deutschen Aufschriften entfernen und führten neben der slowenischen auch die italienische Amtssprache ein.

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Frühjahr 1941
Die Italiener haben Gottschee besetzt. Aus dem Gasthaus Tschinkel links an der Rinsebrücke ist bereits eine Trattoria und Gostilna geworden und Mussolini lässt grüßen.
Foto: Sepp König

Damit war klar, daß die Gottscheer in ihrer Heimat nicht mehr erwünscht waren und umgesiedelt werden sollten. Von einer freiwilligen Umsiedlung, wie von verschiedenen Seiten auch heute noch behauptet wird, kann keine Rede sein. In Folge wurde der sogenannte Gottscheer Umsiedlungsvertrag aufgesetzt, in dem den Gottscheern der volle Ersatz des Vermögens zugesagt wurde.

Bald wurde publik, dass die Gottscheer in die Untersteiermark und nicht wie erhofft nach Deutschland umgesiedelt werden sollten. Die Gottscheer kündeten darauf an, dagegen Widerstand zu leisten. Da aber von den Italienern das Gerücht verbreitet wurde, dass bei einer Weigerung die Gottscheer nach Sizilien oder sogar nach Abessinien deportiert werden sollten, brach der Widerstand. Außerdem war ein Bleiben kaum mehr möglich, da die Versorgungslage äußerst angespannt war, auch hatten viele bereits Teile der Ernte und des Viehbestandes verkauft. Es war auch kein Brennholz für den Winter vorbereitet, da die Gottscheer in den letzten beiden Jahren nichts schlägern durften. Schlussendlich optierten 12.000 Gottscheer für die Umsiedlung und wurden von der Aussiedlungsbehörde in speziellen Zügen erfasst und gemustert.

Bei den Planungen zur „Germanisierung“ Osteuropas spielten die Gottscheer, wie alle „Volksdeutschen“ eine besondere Rolle – allerdings nur, wenn sie „rassisch erwünscht“ und politisch unbedenklich waren. In einem aufwendigen Verfahren registrierte die SS alle einreisenden Volksdeutschen. So hatten z. B. auch die Mitglieder der Familie Gliebe eine „staatsbürgerliche“, „rassische“ und „gesundheitliche“ Prüfung über sich ergehen lassen müssen, bevor sie die Einbürgerungsurkunden erhielten.

Mir als Schreiber dieses Beitrages ist die Geschichte meiner Familie mütterlicherseits, der Familie Gliebe aus Neulag, bestens bekannt, weshalb sie in diesem Beitrag exemplarisch angeführt wird. Aber auch Gottscheern aus anderen Ortschaften erging es nicht anders.

Die Familie Gliebe aus Neulag 14.
Gottfried, Josef, Maria [Leustik], Mutter Maria bei der gesundheitlichen Prüfung zur Erlangung der Einbürgerungsurkunde.
Das Bild wurde zu Dokumentations- und Propagandazwecken 1941 angefertigt.
Quelle: Bundesarchiv Koblenz

Alle Gottscheer Familien bereiteten sich auf die Umsiedlung vor und packten, was auf einen Pferdewagen passte. Mehr durfte nicht mitgenommen werden. Darüber hinaus durfte eine bestimmte Anzahl von Vieh mitgeführt werden. Am 14. November 1941 verließ der erste Gottscheer Transport die alte Heimat, um in das „Ranner Dreieck„ umzusiedeln. Dabei handelte es sich um ein Gebiet an der Save, direkt an der Grenze zu Kroatien gelegen, mit den Hauptorten Gurkfeld/Krško, Rann/Brežice, Lichtenwald/Sevnica und Ratschach/Radeče. Aus diesem Gebiet waren von den deutschen Besatzern bereits 36.000 Slowenen nach Oberschlesien deportiert worden. Zuerst kamen die am weitest entfernten Dörfer an die Reihe, damit man auf der Fahrt nicht durch bereits verlassene Dörfer kam.

Göttenitz, November 1941.
Bereits am letzten Sonntag vor der Umsiedlung verabschiedeten sich die Landsleute von ihren Toten auf dem Friedhof.

Am Sonntag, den 14. Dezember 1941 siedelten die Neulager aus ihrem Dorfe fort. Am nächsten Tag, am Montag, kamen die Weissensteiner und die Häuser Nr. 1 – 12 aus Altlag an die Reihe. Am Vormittag wurde unter Aufsicht des jeweils eigens dazu beauftragten Umsiedlungsverantwortlichen aus dem Orte, hier mein Großvater Matthias Gliebe, das Gepäck zum Bahnhof nach Mitterdorf gebracht und das Vieh dorthin getrieben, am Nachmittag wurden die Bewohner mit Bussen nach Mitterdorf geführt. Am Ende des Dorfes verabschiedeten sich die Bewohner am Friedhof von ihren Verstorbenen und dann war für sie mit einem Schlag das Heimatdorf nur mehr Geschichte. Viele haben ihre alte Heimat erst Jahrzehnte später wieder besuchen können, anderen war dies für immer verwehrt.

Die Umsiedlung ins Ranner Dreieck beginnt. Gottscheer Umsiedler am Bahnhof.
Foto: Entnommen dem Ausstellungskatalog „Gottschee – Das verlorene Kulturerbe der Gottscheer Deutschen“, September 1993

Erst am nächsten Tag wurde das Gepäck, das Vieh und die Umsiedler selbst in den Zug verladen und Fahrt Richtung „neuer“ Heimat, in die Untersteiermark, ins Ranner Dreieck aufgenommen. In Rann trafen 5431, in Lichtenwald 1583 und in Gurkfeld 4154 Personen ein, insgesamt 11.114 Personen. 511 Personen wurden ins Reich umgesiedelt. 380 Gottscheer blieben in der alten Heimat. wobei diese, so sie bis dahin überlebt hatten, im Jahre 1945 nach Österreich abgeschoben wurden. Nur ein Teil jener Gottscheer, die mit Slowenen verheiratet waren, sind auch nach dem Krieg in Gottschee verblieben.

Bei der Ankunft im Aussiedlungsgebiet, wurden den Gottscheern Unterkünfte zugewiesen, die früher slowenischen Weinbauern gehörten. Diese waren einige Zeit vorher nach Oberschlesien ausgesiedelt worden, da die Reichsdeutsche Schwerindustrie zur Herstellung von Kriegsgerät zusätzliche Arbeiter benötigte. Es erfolgten bis zum Frühjahr 1942 nur provisorische Zuweisungen. Es gab viele Enttäuschungen. Allgemein waren die Häuser und landwirtschaftlichen Besitzungen viel kleiner und in schlechterem Zustand, als die Besitztümer in der Gottschee. Im Gottscheerland zuvor wohlhabende Kaufleute und Gastwirte hatten auf einmal nichts mehr, auch keinen Besitz und waren völlig ruiniert, andere hatte hatten es dagegen auf einmal viel besser.

Die Familie Gliebe im Jahr 1942 neben dem zugewiesenen Haus in Globočiče. Erna (Weiss), Josef, Mutter Maria, Vater Matthias, Maria (Leustik) und Gottfried.

Es gab aber relativ bald genügend Arbeit, die Gottscheer hatten auf einmal mehr Geld als früher zu Hause. Die Versorgung war gut und man bekam fast alles zu kaufen. Nach und nach wurden die Gottscheer von der D.A.G (Deutsche Aussiedlungs-Gesellschaft) aus ihren provisorischen Unterkünften in Höfe eingewiesen. Dabei ging es aber auch wieder nicht gerecht zu, da sich die Verwalter der D.A.G fast immer schmieren ließen. In der neuen Heimat, in der Untersteiermark, wurde die Dorfstruktur der Gottscheer zerschlagen, da die ehemaligen Dorfbewohner sehr oft in unterschiedlichen Orten angesiedelt wurden.

Ein besonderes Problem war die Unsicherheit in der Nähe zu kroatischem Gebiet. Zu diesem Zweck wurden Wachen aufgestellt. Trotzdem kam es zu Raubüberfällen von Banditen von über der Grenze. Es gab tote Gottscheer, unter anderem wurde ein Hoge aus Rottenstein in einem Weingarten in unmittelbarer Nähe des Hauses meiner Großeltern erschossen und es wurden Viehherden entführt. Aus diesem Grund verließ Anfang 1945 mein Großvater Matthias Gliebe mit seiner Familie das ihnen zugewiesene Haus in Globocice, das in der Nähe der Grenze stand und zog hinunter ins Tal nach Malence, in ein Nebengebäude der Familie von Frank Mausser aus Altlag. Neben einem Dach über dem Kopf, überlies ihnen die Familie Mausser auch noch eine Kuh, da der Familie Gliebe das Vieh gestohlen worden war.

Am Gründonnerstag, 6. April 1944, fielen die ersten Bomben in der Untersteiermark, es gab dabei viele Opfer. 17 Gottscheer Opfer wurden am Ostersonntag begraben, 10 weitere erlagen ihren Verletzungen noch später. Es erfolgen noch viele Bombenabwürfe, wobei es in dem Zusammenhang immer hieß, es seien Notabwürfe gewesen.

Auch am Christtag 1944 fielen in Gurkfeld Bomben. Dabei wurde das Haus des Gottscheer Arztes Dr. Röthel getroffen. Da an diesem Tag zufällig auch die beiden Söhne auf Heimaturlaub waren, wurde mit diesem Treffer die gesamte Familie Röthel ausgelöscht.

Im Herbst 1944 begann in der Untersteiermark der Stellungsbau, da man ein Heranrücken der Front befürchtete.

Besonders hart trafen die deutschen Gottscheer, die zu dieser Zeit bereits in der Untersteiermark wohnten, die AVNOJ-Beschlüsse (als Beschlüsse des AVNOJ-Präsidiums werden eine Reihe von Verfügungen, Erlässen und Bescheiden bezeichnet, welche die zukünftige staatliche Organisation Jugoslawiens nach Ende der Besatzung durch das Deutsche Reich und dessen Verbündete Italien, Ungarn und Bulgarien im Zweiten Weltkrieg betreffen). Der AVNOJ-Erlaß vom 21. November 1944 entschied über die Enteignung und anschließende entschädigungslose Konfiszierung des gesamten deutschen Staats- und Privatvermögens, welcher sich in der späteren gesetzlichen Fassung auch auf die Aberkennung der Bürgerrechte von Personen deutscher Abstammung bezog.

Zu Ostern 1945 wurde die Evakuierung der Bevölkerung von Rann und Umgebung angeordnet. Dazu wurden in den verschiedenen Orten Trecks gebildet. Frauen und kleine Kinder wurden mit Bussen nach Kärnten transportiert, in den letzten möglichen Tagen wurde dazu auch die Eisenbahn benutzt. Ein letzter Zug schaffte es nicht mehr, obwohl er bis Bruck an der Mur gekommen war. Die heranrückenden Russen schickten ihn wieder zurück nach Marburg, wo die Insassen ihres gesamten Gepäcks beraubt wurden. Zu dieser Zeit strömte aus dem Süden bereits deutsches Militär mit Fahrzeugen Richtung Norden, aber auch kroatische Flüchtlinge und Ustascha-Angehörige. Die große Masse der Gottscheer aber durfte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf die Flucht begeben.

Am 8. Mai 1945 ging es für die Gottscheer endlich los. Es war zwar geplant, jeden Tag eine andere Gemeinde auf die Reise zu schicken, aber in dem damaligen Chaos gingen alle gleichzeitig auf die Reise. Es kam wie es kommen musste. Die beiden einzigen Straßen Richtung Norden waren bald überfüllt, die Lage war hoffnungslos. Die Trecks kamen kaum weiter. Bei Gurkfeld war dann endgültig Stillstand. Die ersten Überlegungen kamen auf, die Fuhrwerke stehen zu lassen und mit leichtem Gepäck Richtung Norden zu marschieren. Zur gleichen Zeit kam aber die Nachricht von der Kapitulation Deutschlands.

Bereits kurz nach der Verkündung der deutschen Kapitulation zeigten sich immer mehr Partisanen. Sie plünderten und nahmen, was ihnen gefiel, durchmarschierende deutsche Soldaten wurden einfach erschossen. Viele Gottscheer, wie auch Soldaten und andere Personen, kamen in Internierungslager wie Tüchern, Sterntal u.a., wo unvorstellbare Zustände herrschten. Den Leuten wurde alles abgenommen, sie wurden geschlagen und oft auch erschossen. Die Unterbringung war katastrophal, es gab keine Hygiene, viele hatten Durchfall, viele starben an Typhus und die Verpflegung war menschenunwürdig. Viele verbrachten mehr als ein Jahr in diesen Lagern. Danach wurden sie, falls sie überlebten über die österreichische Grenze abgeschoben. Fast kein Gottscheer Kleinkind unter 2 Jahren hat diese Flucht und Vertreibung überlebt.

Manche Landsleute hatten aber das Glück, dass sie es bis zur Grenze schafften. Mein Großvater, Matthias Gliebe, ehemals Bürgermeister und Gemeindesekretär in Altlag, hat einen dieser Trecks geführt. Er schaffte es, mit seinen Dorfbewohnern über Cilli/Celje und Krainburg/Kranj, bis auf den Loiblpaß zu gelangen. Doch dort war fürs Erste Schluss, die Engländer als Besatzungsmacht in Kärnten haben die Flüchtlinge nicht über die Grenze gelassen. Es blieb meinem Großvater nichts anderes übrig, als seine Landsleute wieder zurück nach Krainburg zu führen. Unterwegs hat die slowenische Bevölkerung den Treck mit Lebensmitteln unterstützt – ohne diese Zuwendungen hätten die Leute nicht überlebt. Nach einem zweitägigen Aufenthalt auf einem Feld bei Krainburg/Kranj setzten sich die Flüchtlinge zu Fuß wieder Richtung Cilli/Celje in Bewegung, um über Windischgraz/Slovenj Gradec die Grenze bei Unterdrauburg/Dravograd zu erreichen. Diesmal wurde der Treck über die Grenze gelassen und die Leute waren in Sicherheit.

So wie diesen Landsleuten aus Altlag, erging es vielen anderen. Sie erreichten über andere Grenzübergänge in der Steiermark und in Kärnten die „Freiheit“, so auch zu Fuß durch den Loibltunnel, der damals erst im Bau war und sie erreichten sicheren Boden in Kärnten.

Eine große Anzahl von Flüchtlingen, darunter auch fast alle Gottscheer, fanden anschließend in einem der vielen Flüchtlingslager Zuflucht. Das größte Lager in Kärnten befand sich in Feffernitz im unteren Drautal. Weitere Lager gab es in Klagenfurt (Welzenegg, St. Ruprecht, Viktring …), in Spittal an der Drau und in Wolfsberg, aber auch in der Steiermark (Wagna, Graz, Kapfenberg, Leoben, Niklasdorf …).

Mit der Öffnung der Grenzen der Vereinigten Staaten für Flüchtlinge im Jahr 1949 sank die Zahl der Bewohner in diesen Flüchtlingslagern stetig. Viele der ehemaligen Bewohner bauten danach außerhalb der Lager eigene Häuser, wie das Beispiel Neu-Feffernitz zeigt.

Die Bewohner hatten damit zwar ein Dach über dem Kopf, die Versorgung war aber dramatisch, viele lebten über Jahre in diesen Lagern.

Viktor Stalzer, im Sommer 1958, zum damaligen Zeitpunkt Geschäftsführer der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt, bei einem Besuch mit „amerikanischen“ Gottscheern im Flüchtlingslager Feffernitz mit Gottscheer Frauen.
Foto aus dem Film „Gottscheer Europareise 1958“ von Karl Stalzer.

Andere Gottscheer hatten nach der Flucht mehr Glück. Sie kamen auf Bauernhöfen und sonstigen Gütern unter. Dort hatten sie Unterkunft und auch Verpflegung. Viele dieser Bauernhöfe hatten Väter und Söhne auf den Schlachtfeldern Europas verloren und so war die Hilfe durch Flüchtlinge sehr willkommen. Auch meine Großeltern hatten dieses Glück. Die Familie meines Vaters Eduard Leustik lebte einige Jahre auf einem Bauernhof bei St. Radegund, nördlich von Graz; bereits 1955 bezogen sie ihr neu gebautes Haus in Graz-Liebenau. Die Familie meiner Mutter kam auf Schloß Thalenstein bei Völkermarkt unter, wo sie bei der Familie Helldorf wohnte. Die Großeltern halfen in Haus und Wirtschaft, meine Mutter war über vier Jahre bis 1949 Kindermädchen der Helldorf-Kinder Astrid, Volker und Alke.

Der Großteil der Gottscheer ist dann ab 1950 bis zum Ende der 50er Jahre vor allem nach den USA, nach Canada, Australien und Südamerika ausgewandert, da sie dort teils schon Verwandte hatten oder sich dort ein besseres Leben erhofften. Auch die Familie Gliebe ist im Februar 1950, einen Monat vor meiner Geburt, nach Cleveland in den USA ausgewandert, nur die Tochter Maria, meine Mutter, ist in Österreich geblieben.

Daß viele diese harten Zeiten überlebten, verdanken sie auch der Hilfe der Gottscheer in Amerika. Die Gottscheer Vereine in ganz Amerika hatten sich 1945 zum Gottscheer Hilfswerk zusammen geschlossen und 1946 den Status einer karitativen Organisation erhalten. Dadurch durften sie Direkthilfe leisten. Fast jede Gottscheer Familie konnte auf diese Weise an Hilfsgüter gelangen. Ich selbst kann mich an diese Pakete noch erinnern, die die Familie Leustik bis Anfang der 60er Jahre aus Amerika erhalten hat. Die Augen von uns Kindern, wir waren vier Buben, leuchteten, wenn die Pakete geöffnet wurden. Sie enthielten meist Lebensmittel, vor allem Konserven, Bekleidung für die ganze Familie und für uns Kinder oft auch Spielsachen.

So wie die Gottscheer in den 600 Jahren, die sie im Gottscheer Land verbrachten, nach Krieg, Seuchen, Krankheit und Missernten ihr Land immer wieder aufgebaut haben, genau so haben sie es nach dem 2. Weltkrieg nach Umsiedlung, Flucht und Vertreibung wieder geschafft. Mit ihrem Fleiß, ihrer Sparsamkeit und ihrer Gläubigkeit, haben sie Haus und Heim geschaffen, oftmals einen neuen Beruf ergriffen, Firmen aufgebaut und neue Familien gegründet. Viele Gottscheer haben es zu Wohlstand gebracht.

Darüber hinaus haben sich Gottscheer zusammengetan und fern der alten Heimat Gottscheer Vereine gegründet bzw. bestehende weitergeführt (in Klagenfurt, Graz, Wien, Deutschland, USA, Kanada, Australien …), die zum Großteil noch heute bestehen, in denen sie sich treffen, sich austauschen, oft mit Tränen in den Augen über ihre alte Heimat und die ehemaligen Nachbarn sprechen. Geselliges Zusammensein und alljährliche Veranstaltungen in aller Welt tragen auch dazu bei, die Gottscheer Kultur und das Gottscheer Kulturerbe zu erhalten.

Auch die im Jahr 1904 gegründete Gottscheer Zeitung, die seit 1955 in Klagenfurt neu herausgegeben wird, trägt dazu bei , dass die Gottscheer Kultur und die Aktivitäten der einzelnen Gottscheer Vereine in die ganze Welt hinaus getragen werden, da sie in alle Kontinente versendet wird.

Mit jedem Jahr sinkt aber die Zahl derer, die noch einen direkten, persönlichen Bezug zu Gottschee haben oder die noch Gottscheabarisch (Gottscheerisch) sprechen können. Die Nachfolgegeneration ist oft nur noch sehr schwer dazu zu bewegen, sich mit der Kultur ihrer Vorfahren zu befassen, da sie oft zu wenig davon weiß. Ihre Großeltern und Eltern haben mit ihnen über die Ereignisse und Probleme während Vertreibung und Flucht nicht gerne gesprochen.

Es wird der Tag kommen, dass von jenen, die „ein etwas anderes Deutsch“ gesprochen haben, die irgendwo südlich von Ljubljana gelebt haben, nur mehr Bücher, alte Gottscheer Zeitungen, Fotos und Filme, auf die man zufällig im Internet stößt und Erzählungen und Lieder zeugen werden, denn wenn Sprache und Kulturleben verstummen, dann ist es um die Zukunft eines Volkes geschehen.

Damit dieser Zeitpunkt noch viele Jahre hinausgeschoben wird, dafür bürgt die Gottscheer Kulturwoche, die heuer vom 31. Juli bis zum 6. August 2017 zum 52. Mal in ununterbrochener Reihenfolge, von der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt in Klagenfurt-Krastowitz abgehalten wird. Sie beginnt mit einer zweitägigen Gottschee-Fahrt, setzt sich fort mit Vorträgen, Gesangsabenden und geselligem Beisammensein und endet am Sonntag, den 6. August 2017 mit der Gottscheer Wallfahrt, dem Gottscheer Kirchtag und dem traditionellem Segen nach Gottscheer Brauch.

Wir laden Sie ein, mit uns gemeinsam diese Woche zu verbringen.

Auf Wiedersehen bei der 52. Gottscheer Kulturwoche in Klagenfurt!

 

Hermann Leustik

Quellen:

Hermann Leustik

in: Programmheft zur Gottscheer Kulturwoche 2017, Seite 5 – 13,
Hrsg: Gottscheer Landsmannschaft Klagenfurt

Fotos:

Herbert Otterstädt
Dornig
Sepp König
Bundesarchiv Koblenz
Ausstellungskatalog „Gottschee – Das verlorene Kulturerbe der Gottscheer Deutschen“, September 1993
Film „Gottscheer Europareise 1958“ von Karl Stalzer