aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Ich war ein schwieriges Kind

von Maria Schager,
Steinwand,
Düsseldorf

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Mein Vater war ein Schmuck, geboren in Steinwand am 02, 06. 1889, meine Mutter war Maria Bogner, geboren am 02. 10. 1896 in Neuberg bei Tschermoschnitz; sie heirateten 1921, fünf Kinder waren wir. Meine Schwester lebt in Deutschland, die Mutter lebt bei ihr (im Westerwald), mein Bruder in Kapfenberg und ich in Düsseldorf. Ich bin in Steinwand aufgewachsen und dort zwei Jahre in die slowenische Schule gegangen. Dann sind wir nach Neuberg gezogen, die Großmutter hat das Haus meiner Mutter übergeben, ich bin in Tschermoschnitz weiter in die Schule gegangen. Ich habe keine deutsche Schule besucht, deutsch rich­tig gelernt habe ich erst in der Untersteiermark. Ich wäre gerne in die Berufsschule gegangen und mußte dort zuerst einen deut­schen Sprachkurs besuchen.

Wir sind 1941 umgesiedelt worden, nach Königsberg, Partisa­nengebiet. Wir haben nur slowenische Nachbarn gehabt, wir sind gut mit ihnen ausgekommen. Die Partisanen haben das ganze Dorf ausgeraubt, uns haben sie in Ruhe gelassen. Oft sind über den Tag fremde Männer gekommen und haben um Essen gebe­ten, meine Mutter hat immer gegeben. Mein Vater und meine Mutter haben bei der Deutschen Ansiedlungsgesellschaft gear­beitet, ich habe das Pflichtjahr im Haushalt bei einer Familie gemacht, die zu Hause unsere Nachbarn waren. Mit der Frau habe ich mich nicht gut verstanden und bin deshalb in die Landwirtschaft arbeiten gegangen. Ich habe mich auch mit dem Vater nicht gut verstanden, ich war ein schwieriges Kind. In Tschermoschnitz waren Familien, denen es besser ging als uns, das faszinierte mich und ich habe meinem Vater Vorwürfe gemacht. Ich wollte Kleider, wie jene Mädchen, aber die Mutter sagte: „Bist ein armes Kind, brauchst kein solches Kleid, keine zwei Zöpfe! “ Das blieb mir: Bist ein armes Kind!

Mein Vater wollte, daß ich nur deutsch lerne und daß ich meinen Namen Schmuck (mit S-c-h) schreibe, der Lehrer ohrfeigte mich dafür, denn ich sollte Smuk (S mit Häkchen) schreiben. So radier­te ich unterwegs: zur Schule „S“, auf dem Nachhauseweg „Sch“.

Und zu Hause haben wir nur gottscheerisch gesprochen. Ab dem neunten Lebensjahr war ich nicht mehr zu Hause, war im Dienst bei einer Familie in Tschermoschnitz. Es war hart: In der Früh mit den Kühen auf die Weide, nach Hause, frühstücken, in die Schule, nach Hause, Mittagessen, abwaschen, stundenlang im Garten helfen, dann wieder auf die Weide, dann die Hausauf­gaben, das Abendessen und den Rest des Abends bis zehn Uhr in der Schneiderwerkstatt des Dienstherrn helfen, aufstehen um 5 Uhr. Oft, wenn mich die Frau hart anpackte, lief ich nach Hause, erzählte es der Mutter. Der Vater sagte nie etwas, die Mutter nahm mich bei der Hand und führte mich zum Dienstplatz zurück. Die Frau spornte mich an, wenn ich brav sei, bekäme ich ein neues Kleid und so. Sie hielt es auch und ich arbeitete wie ver­rückt; sie wollten mir auch die Werkstatt übergeben, wenn sie zu alt für die Arbeit sind.

Zur Umsiedlung hat mich meine Mutter wieder zurückgenom­men. Ich war zwei Jahre im Pflichtjahr, weil ich keine andere Stelle bekommen konnte; mein Bruder war in Nürnberg, er ist mit 15 Jahren weg, wir haben uns erst nach dem Kriege in Graz wieder getroffen. Ich war dann bei der Mädchenorganisation. Wir haben bei den Zusammenkünften viel gemacht: zu Weihnachten Spielzeug für Kinder, verschiedenes gesammelt und verpackt, verschickt, Frontpakete. Der Vater war Rot-Kreuz-Mann bei der Wehrmannschaft. Und wir hatten gleich Freunde unter den Slowenen dort, die haben sich vorgestellt und uns ihre Hilfe ange­tragen. Einer sprach deutsch, mit den Kindern haben wir slowe­nisch gesprochen. Heimweh nach Gottschee habe ich nicht gehabt, seit wir von dort weg waren, ging mein Leben aufwärts.

Dann bekamen wir eines Abends Bescheid, wir müßten uns für nächsten Tag bereithalten, mit dem Nötigsten, wir müßten weg. Ein Bauer gab uns seinen großen Wagen, wir spannten unsere Kuh ein und kamen bis Drachenburg. Dort wurde uns alles abge­nommen, es kam der Befehl: Mitnehmen, was einer tragen kann! Wir kamen nach Marburg, mußten wieder zurück, wieder nach Marburg, wieder Kontrolle, Schmuck, Geld, alles weg; leer, ohne alles ins Lager! Nächsten Tag weiter, zu Fuß, über die Grenze, nach Spielfeld, wir waren drei Tage zu Fuß unterwegs. Dann gingen wir nach Leibnitz, dort kamen wir in einen Zug, der wurde verschlossen, bis Graz. Dort sah ich einige Leute herausklettern, ich machte den Fensterverschlag auf, stieg hinaus, nahm die Mutter mit; so blieben wir sieben Familien in Graz, die anderen kamen alle nach Ungarn. Wir waren zwei Tage dort in einem alten Waggon, dann hat uns die Polizei aufgegriffen, wir kamen ins Lager Kaiserwald (Premstätten). Nach etwa zwei Monaten kam ein Gutsverwalter, er suchte Arbeitskräfte. Vier Familien taten wir uns zusammen und kamen auf Schloß Kalsdorf, wurden aber später entlassen und kamen wieder nach Kaiserwald. Hier haben wir etwas von einem großen Lager Kapfenberg gehört, haben uns wieder zusammengetan und sind dorthin mit dem Zug gefahren. Fünf Lagerblöcke mit Sudetendeutschen, Ungarn, Banatern, alles mögliche halt, was so geflüchtet ist. Ab 1949 wur­den wir nicht mehr betreut, habe dann im Lagerkindergarten gekocht, für 300 Kinder, mit vier Arbeitskolleginnen zusammen, zwei ganze Jahre, ich war dann noch ein Jahr Kindergärtnerin. Dreieinhalb Jahre war ich anschließend in der Landwirtschaft, in Allerheiligen/Märztal, bin 1954 ins Lager zurück, habe dann sechseinhalb Jahre in der Gärtnerei gearbeitet, wo ich gut ver­dient und fleißig gespart habe.

Im Lager gab es einen oder zwei Räume für eine Familie. Innerhalb des Lagers haben wir auch Feste gefeiert, haben Theater gespielt, gleich nach dem Kriege mittwochs und sams­tags getanzt; es waren auch viele deutsche Soldaten da, viel junge Mädchen, da war sofort Kontakt. Die Soldaten sind aus dem Kriegsgefangenenlager gekommen. Wir haben aber auch aus­wärts getanzt.

Meine Eltern waren schon in Deutschland, in Düsseldorf – zuerst über das Lager Freilassing nach Ostfriesland, meine Schwester auch. Ich habe inzwischen in Österreich geheiratet. 1960 schrieb meine Mutter, der Vater sei schwer krank, ich sollte noch einmal kommen. Mein Mann wollte nicht, so habe ich unsere Kinder genommen und bin allein gefahren – wir hatten 1958 im Lager geheiratet. Mein Mann ist doch nachgekommen und wir sind in Deutschland geblieben; er ist 1970 gestorben. Ich bin heute Verkaufsleiterin. Wenn ich zurückdenke: zu Hause! Da hatte die Frau doch nichts, kein Recht, kein Geld. Bei uns hat alles der Vater eingekauft und es war immer richtig, meine Mutter hat nie etwas gesagt. Mein Vater, der Brotverdiener, bekam mehr zu essen, bekam das größere Stück Fleisch. Es war überall so: Wenn ich zu meinem Taufpaten kam, da waren zehn Kinder, die saßen alle auf dem Boden, rundherum um eine Schüssel, ich wurde auch dazugelassen: Milch und Sterz, Sauerkraut mit Kartoffeln, auch Rüben. Der Herr des Hauses saß am Tisch und aß Besseres, die Mutter war nie dabei. Wo die nur gegessen hat? Vielleicht hat man die Kinder auf den Boden gesetzt, weil sie beim Tisch nicht in die Schüssel gereicht hätten? Und die Kinder beim Taufpaten in Steinwand, der war Schaffelmacher, mußten mithelfen, alle.

Ja, Neuberg, dort sagte eine alte Gottscheerin zu meiner Mutter oft: „Wenn einmal die eisernen Vögel in der Luft fliegen werden, die Pferde ohne Wagen fahren werden, dann wird es für die Gottscheer nicht mehr gut sein, dann werden sie in der Welt verstreut leben. Und wenn sie sich wieder in Neuberg treffen wer-den, werden es so wenige sein, daß sie unter einem Eichenbaum Platz haben werden! „Das muß so um 1900 gewesen sein, wie eine Prophezeiung!

Und mein Vater, der hat nichts auf den Glauben gehalten. Einmal ist er mit dem Pferdefuhrwerk weggefahren und auf einer Kreu­zung wollten die Pferde nicht weiter. Er mußte umdrehen. Von da an hat mein Vater immer ein Kreuz gemacht, bevor er weg-gefahren ist. Und meine Mutter, sie glaubt heute noch an Hexen. Ich glaube, Leute, die an einem schwachen Herzen leiden, sehen alles Mögliche, und das sind dann die Hexen. Und zu Hause, wenn ein Frosch über den Weg hüpfte, mein Vater kam dazu und schaute genau, ob er fünf Zehen hatte, dann spießte er ihn mit der Mistgabel auf – Hexe! Ja, am anderen Morgen ging man nachschauen, der Frosch war weg! Wie war denn der von der Mistgabel gekommen?

Meine Mutter war viel krank, eine Herzschwäche, ein Klappen­fehler, sie hatte immer Angstzustände. Gleich nach der Umsied­lung in die Untersteiermark war sie drei Monate bettlägerig, ich, die Fünfzehnjährige, habe sie in einem Leintuch hin und her getragen. In Steinwand war sie sehr beliebt, sie half Kinder zur Welt bringen, war aber keine Hebamme. Sie saß auch bei jedem, der im Sterben gelegen ist. Die Nachbarn holten sie oft: „Komm, unser Kind liegt im Sterben!“ Sie trug das Kind auf den Armen, bis es tot war, sie wachte und betete tagelang bei kranken Leuten. Und wenn der Tod da war, mußten alle ganz still sein, nie­mand durfte weinen, sonst würde der Tote gestört …

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994