aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Ich wollte hinaus nach Deutschland

von Viktor Stalzer,
Reichenau,
Klagenfurt

.
.
pdf

.
.
Ton-Datei

Ich komme aus dem Dorfe Reichenau, das zur Gemeinde Nesseltal gehörte. Meine Eltern waren Besitzer in Reichenau, mein Vater hat nebenbei noch die Binderei betrieben und die Mutter war Dorfschneiderin. Weil wir einen Besitz hatten, legte mein Vater keinen besonderen Wert darauf, daß ich einen Beruf erlerne. Ich sollte einmal Bauer werden. Ich habe dann auch eine Zeitlang in der Binderei gearbeitet, was mir aber nicht besonders behagt hat. Ich wollte im Freien tätig sein und hab mich den Holzschlägern zugewendet, habe mir das Behauen von Eisen­bahnschwellen angeeignet und nach zweijähriger Tätigkeit hat mich die Firma als Einkäufer und Übernehmer angestellt. Diese Tätigkeit habe ich 8 Monate ausgeführt. Im Herbst 1940 habe ich mich als Freiwilligenhelfer zur Umsiedlung der Bessarabien Deutschen gemeldet. Ich kam nach Belgrad und von dort weiter hinunter nach Prachowo an der rumänisch-bulgarischen Grenze. Dort unten verbrachte ich etwas mehr als einen Monat und hatte das Bestreben, mit diesen Umsiedlern vielleicht hinaus ins Reich zu kommen.

Zwischenbemerkung: Ich hab nicht ganz verstanden, was und wie das mit der Umsiedlung der Bessarabien-Deutschen lief.

Im Herbst 1940 wurden die Deutschen aus Bessarabien nach Deutschland umgesiedelt. Die Umsiedlungstransporte liefen über Jugoslawien. Es mußten Auffanglager und Verpflegungsstatio­nen eingerichtet werden. Dazu wurden Helfer benötigt. Als sol­cher habe ich mich gemeldet. Es gab mehrere Auffangslager. Nach diesem Freiwilligeneinsatz kam ich wieder nach Hause nach Reichenau, aber das alles hat mir unten so imponiert, diese ganze Organisation und alles was damit zusammengehangen hat, daß ich mich entschloß, hinaus ins Reich zu flüchten. Ich ging mit einem Landsmann aus meinem Dorf bei Spielfeld über die Grenze. In Leibnitz wurden wir dann erwischt und dort einge­sperrt. Nach einigen Tagen Gefängnis kamen wir zu Bauern, ich selbst kam nach Leitring und wurde, wie mir schien, nicht so behandelt, wie ich es mir als Deutscher vorgestellt habe. Deshalb ging ich wieder zurück zum Kommissariat und sagte, daß ich wieder zurück nach Jugoslawien gehe, wenn ich mich nicht frei im Reich bewegen könne. Was ich dann auch getan habe. Ich bin wieder schwarz zurück hinunter, weil ich auf dem Standpunkt stand, daß es nicht angeht, mich als Deutschen einzusperren. Ich hatte sogar ein Schreiben vom Schwäbisch-deutschen Kultur­bund bei mir, worin gebeten wurde, daß man mir an die Hand gehen möge. Ich habe mir gedacht und es auch gesagt, daß ich mich lieber in Jugoslawien einsperren lass. Aber man hat unten nicht erfahren, wo ich war, deshalb blieb ich unten unbehelligt, arbeitete dann wieder in der Wirtschaft meiner Eltern. Als am 6. April 1941 der Balkanfeldzug begann, sollte ich am 8. April einrücken, aber es kam nicht mehr dazu. Im Sommer über wirt­schafteten wir dann so recht und schlecht daheim, denn irgend-wie war durchgesickert, wir würden wahrscheinlich umgesiedelt. Das hat uns schon beunruhigt. Ich kam dann in Kontakt mit deut­schen Polizeibeamten und zwar durch den Hotelier Miklitsch in Laibach, der bei uns die Jagd hatte. Ich fuhr in das Hotel Miklitsch nach Laibach, wo ich dann tatsächlich diesen Grenzkommissar auch traf. Wir kamen dann, 6 Burschen aus unserem Dorf, als Dienstverpflichtete herüber und wurden den deutschen Polizeibehörden zugeteilt. Ich wurde als Telefonist angelernt, später als Fernschreiber, und in der Folgezeit, nachdem wir ita­lienische Staatsbürger geworden sind, ich reiste mit italienischem Paß, wurden wir aufgefordert, uns umsiedeln zu lassen. Der Umsiedlungszug stand damals in Villach, es war Anfang März 1942. Wir fuhren nach Villach und wurden dort durchschleust. Am Ende des Zuges bekamen wir schon die Urkunden für die deut­sche Staatsbürgerschaft überreicht, und dies genügte, daß man uns sofort zur Deutschen Wehrmacht musterte.

Wo waren Sie als Telefonist eingesetzt?

In Veldes (Bled), Oberkrain. Da war ich etwas über 1 1/2 Jahre.

Und nachdem ich zur Deutschen Wehrmacht gemustert war, sagte man mir dort, daß es vernünftiger wäre, ich würde mich freiwillig zur Waffen-SS melden, dann könnten Sie mich bei der Polizei behalten. Also ich meldete mich freiwillig zur Waffen-SS und bald danach wurde ich eingezogen. Und zwar kam ich nach Nürnberg. In Nürnberg wurden wir befragt, wer Vorkenntnisse im Nachrichtenwesen hat. Ich meldete mich, daß ich Fernschrei­ben könne und wurde dann auch der Fernschreibschule zugeteilt. In Nürnberg lag die Nachrichtenabteilung der Waffen-SS und ich absolvierte dort die Nachrichtenschule. Wir bekamen eine Art Zeugnis, die Nachrichtenschule mit Erfolg abgeschlossen zu haben. Auf Grund dessen wurden wir dem 5. SS-Gebirgskorps als Fernschreiber zugeteilt. Ich kam zuerst nach Unna in Westfalen und von dort nach Mostar in Jugoslawien. In Mostar wurden wir verteilt, gruppenweise drei oder vier Mann, zu den einzelnen Einheiten, die dem 5. Korps unterstellt waren, Ich kam zuerst zur „Prinz Eugen“, dort war ich nur 20 Tage, von „Prinz Eugen“ zur 118. Jägerdivision, von der 118. Jägerdivision zum ersten Gebirgsjägerregiment. Dann erkrankte ich und kam in das Lazarett von Betschkerek im Banat. Als ich ausgeheilt war, kam ich nach Pantschewo bei Belgrad, bis die Russen dort einbrachen. Von dort kam ich nach Neu Werbaß und von Werbaß nach Graz. In Graz war ich kurze Zeit am Rosenberg-Gürtel oben und in Wetzelsdorf draußen. Von dort wurden wir nach Litzmannstadt (Lodz, heute Polen) kommandiert. Wir erreichten unser Ziel dort nicht, weil es schon die Russen eingenommen hatten. Wir mußten sofort den Rückzug antreten und kamen in die Nähe von Frank­furt an der Oder, heute polnisches Gebiet. In Reppen wurden wir eingekreist und da hieß es, rette sich, wer kann. Wir schlugen uns noch am Abend bei Frankfurt über die Oder und sammelten uns diesseits der Oder. Natürlich sind von dieser Einheit, der ich angehört habe, sehr viele nicht mehr herübergekommen. Wir wurden wieder neu zusammengestellt und haben in Beskow und Storkow, also zwischen Frankfurt an der Oder und Berlin, Auf­stellung genommen. Als die Russen die Oder überwanden, sind wir wieder eingekesselt worden. Es ist uns noch einmal gelun­gen, uns durchzuschlagen und als dann der Russ schon in Berlin war, blieb uns nichts anderes übrig, als uns in Gefangenschaft zu begeben. Ich selbst hatte einen Ellbogendurchschuß erlitten und kam in der Nähe von Königswusterhausen in russische Gefan­genschaft. Als wir uns dort zu den Russen hinüberschlugen, kam ein Russe mir entgegen und fragte, was dieser gelbe Aufschlag auf meiner Uniform zu bedeuten habe. Ich sagte ihm, das ist eine Nachrichtenabteilung – Vod za veze -. Er klopfte mir auf die Schultern: Ist gut so, und ließ uns unbehelligt. Wir waren dort in einem Dorf untergebracht und mußten am nächsten Tag in Richtung Potsdam weitermarschieren. Wir kamen in ein Dorf, Beelitz hieß es, etwa 18 km von Potsdam entfernt und da wurden wir als russische Gefangene bei Bauern einquartiert; 5, 6 Mann in einem Bauernhaus und das Dorf wurde bewacht, Eine Dolmetscherin, eine Polin sagte uns dorten, wir sollten trachten zu flüch­ten, denn die Russen kümmern sich momentan nicht viel, und es wäre das Vernünftigste, wenn wir uns Zivilkleider beschafften, und von hier weggingen. Was wir dann auch taten. Es gelang uns, eine Hose und einen Rock anderweit zu ergattern und schlichen aus dem Dorf, immer so ein, zwei Mann an den Russen vorbei. Wir bettelten sogar bei den Russen, was ich in slawischer Sprache übernahm. Die Russen gaben uns bereitwillig etwas zu essen, und wir kamen am ersten Tag bis Dessau. In Dessau wurden wir alle wieder in ein Lager gesteckt. Es war ein Auffangslager für Gefangene und Zwangsarbeiter. Alle möglichen Nationen befan­den sich dort im Lager. Wir blieben 3, 4 Wochen. Ich selbst gab mich zuerst als Jugoslawe aus. Die Russen fragten nach der Nationalität, und ich rechnete mir als Jugoslawe Vorteile aus. Ich habe aber bald eingesehen, daß dies ein Fehlschluß war. In dem Lager waren auch viele slowenisch und serbisch sprechende Jugoslawen und die sagten sofort, wieso ich nicht ihre Sprache spreche. Ich gab ihnen zur Antwort, daß sie wissen müßten, daß in Jugoslawien auch deutsche Menschen gelebt haben. Zog es aber doch vor, mich zu den Österreichern hinüber zu schlagen und begab mich in die Baracke der Österreicher. Nun, auf einmal hieß es, das Lager wird aufgelöst. Die Lagerinsassen sollen den westlichen Staaten übergeben werden. Auf der Elbebrücke waren Fahnen und Tische aufgestellt, von allen möglichen Nationen: Engländer, Franzosen, Belgier, Holländer und so wei­ter. Als wir, die Gruppe der Österreicher, hinkamen, durften wir nicht hinüber. Osterreich, sagten sie, sei von den Russen besetzt und wir müßten über die Oststaaten hinunter nach Wien gehen. Ein russischer Offizier, der deutsch sprach, halbwegs gut deutsch sprach, sagte uns, er müsse uns wieder in ein anderes Lager brin­gen. Er fügte jedoch hinzu: „Ich Euch nicht bringen in ein ander Lager, ich Euch bringen zur Elbe, und sie alle flüchten und ich fahre zurück und sage, ihr alle geflüchtet, oder der Engländer oder der Amerikaner hat Euch übernommen.“ No, wir trauten diesem Angebot nicht richtig, denn unten in den Elbeauen könn­te ja allerhand geschehen. Wir schauten einander an, wir waren etwa 30 Mann, tuschelten untereinander und sagten, er kann doch nicht alle 30 auf einmal erschießen und gingen mit. Als wir in die Elbeauen hinunterkamen, gab er uns Konserven und auch Brot zu essen und sagte: „So und jetzt wünsch ich Euch eine gute Heimfahrt oder schaut’s wie ihr irgendwie heimkommt’s. Ich hab Euch jedenfalls übergeben.“ Wir erschwindelten uns dann noch bei einer russischen Kommandatur eine Art Ausweis, oder vielmehr eine Empfehlung, daß man uns frei gehen lassen soll, was für die russischen Soldaten und später auch für die Tschechen wesentlich war. Wir fuhren dann zum Teil mit dem Zug, zum Teil mit dem Schiff, zum Teil mit Pferdefuhrwerk und erreichten tatsächlich um die Sommersonnenwende oder Ende Juni die österreichische Grenze. Am 13. Juni waren wir noch in Dresden. Ich selbst ging nach Pöllau, Obersteiermark, wo ich wieder den Russen zugeteilt wurde. Ich mußte Munition und deutsches Kriegsgut aufsammeln, was ich über ein Monat getan habe. Da erfuhr ich, daß meine Frau und meine Eltern und meine Tochter wahrscheinlich in Kärnten seien. Ich machte mich sogleich auf den Weg und fuhr mit einem Lastwagen nach Graz. Von Graz bis Klagenfurt brauchte ich 2 Tage, den ersten Tag gings nur bis Bruck an der Mur. Als ich in Klagenfurt ausstieg, begegnete mir am Bahnhof mein Bruder. Er konnte mir sagen, wo meine Leute anzutreffen sind. Sie waren alle in Klagenfurt, meine Frau im Krankenhaus. Arbeit bekam ich dann als Kraftfahrer bei den Engländern, bei der 44. Südafrikanischen Fliegerschwadron am Flugplatz. Zu einer Wohnung aber konnten mir die Engländer auch nicht verhelfen. Deshalb ging ich dort weg, was auch nicht ganz einfach war und fand in der Schuhfabrik Neuner in Klagenfurt Arbeit. Dort bekam ich auch ein Bett, später ein Zimmer, dann zwei, und ich konnte wieder mit meiner Familie beisammen sein. Ich lernte dort in der Schuhindustrie, machte Kurse, legte Prüfungen ab und nach 10 Jahren wurde ich Werkmeister. Diese Tätigkeit führte ich dann 19 Jahre aus, und als ich 55 Jahre alt wurde, mußte die Schuhfabrik Neuner schließen. Es war sehr schwierig, mit 55 Jahren nochmals Arbeit zu finden. Ich hatte Glück und wurde doch noch als Kaufmän­nischer Angestellter in einem Betonwerk angestellt und bin seit 4 1/2 Jahren als Verkäufer und Auslieferer tätig. Ende dieses Jahres werde ich in Pension gehen.

Seit Gründung der Gottscheer Landsmannschaft bin ich im Vorstand und war auch Mitbegründer der Gottscheer Zeitung, an der ich heute noch mitarbeite.

Ich habe noch nachzutragen, daß ich im Jahre 1943 in der Untersteiermark geheiratet habe und meine Frau aus Hinterberg stammt. Im Dezember 1943 wurde uns eine Tochter geboren, die bei der Flucht 1 1/2 Jahre alt war. Meine Frau flüchtete 1945 mit dem Kind über die Karawanken nach Klagenfurt, wo ich sie dann vorgefunden habe. Die Tochter war schwer erkrankt, sie litt an Ruhr, konnte aber noch gerettet werden. Meine Frau selbst war auch krank, sie wurde nach dem Krieg tuberkulös. Durch Hilfe von Amerika, ich bekam aus Amerika Streptomycin, wurde sie vollkommen ausgeheilt. Vor drei Jahren nun, nach 34jähriger Ehe, ist meine Frau gestorben. Die ältere Tochter, die damals 1 1/2 Jahre alt war beim Flüchten, lebt jetzt in Kanada, ist mit einem Deutschen aus Bayern verheiratet und hat zwei Kinder. Meine zweite Tochter, die in Klagenfurt geboren wurde, ist in Klagenfurt angestellt und mit einem Kärntner verheiratet. Ich selbst habe nun auch wieder geheiratet und lebe seit 1945 stän­dig in Klagenfurt.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994