aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Nur weg von hier

von Olga Spreizer,
aus Pöllandl,
gest. 1988 in Stuttgart

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Am 8. Mai 1945 kam der Befehl vom Ortsgruppenführer, mit einem Wagen, beladen mit Notwendigem, um 11 Uhr in Königs­berg/Sattelbach zu sein. Kleider, Brot, abgebratene Hasen und Hühner, ein Faß mit 120 l Wein luden wir auf. Die Nachbarn, Alt-Ansässige, halfen uns. Wir übergaben ihnen sämtlichen Hausrat und die Einrichtung. Die Hauptstraße nach Königsberg erreich­ten wir (150 m) schnell, aber dann war es aus, verstopft mit sich zurückziehenden Wehrmachtsangehörigen, Ustaschas, Kolonne nach Kolonne, Kraftfahrzeuge und Geschütze, auch Pferdefuhr­werke. Wir haben uns dann doch hineingedrängt, haben zwei Stunden für den einen Kilometer bis Königsberg gebraucht. Dort haben wir andere Gottscheer getroffen, alle warteten. Der Oberverwalter von der DAG (Deutsche Ansiedlungsgesellschaft) war als Transportleiter bestimmt. Aber, er wartete auf weitere Befehle, der Bürgermeister sagte sogar (er war ein Gottscheer), er müsse warten und die Geschäfte an die Partisanen übergeben, ihm ist es lieber, wenn wir auch warten. Wir haben dann allein eine Kolonne gebildet, sind aber nicht auf die Hauptstraße gekommen, alles voll mit Militär, so sind wir über die Wiesen gefahren und haben uns dann auf der Straße langsam zwischen die Kolonnen geschwindelt. Aber um 3 Uhr nachmittags waren wir wieder in Silberberg, unserem Wohnort im Ansiedlungs­gebiet, von wo wir am Vormittag weggefahren waren. Unsere Nachbarn haben uns eingeladen zu bleiben, es wird schon nichts passieren, aber wir machten uns wieder auf den Weg, mit der Wehrmacht, die noch ihre Waffen hatte. In Windisch-Landsberg brannten drei Häuser, auf dem Hügel oben stand eine Gruppe Partisanen, in Schwarmlinie aufgestellt, die Gewehre auf uns gerichtet, aber es fiel kein Schuß. Es ist die Nacht gekommen, wir sind in einer Ortschaft geblieben, ein Teil der Kolonne aber zog weiter. Am nächsten Tag haben wir einen von dieser Kolonne, den Eduard aus Neuberg, eingeholt. Das war so: Er hatte keine Zugtiere mehr, ein Freund hat ihn an seinen Wagen angehängt, ihn aber in der Nacht „verloren“. Eduard hat auf seinem Wagen geschlafen, ist erst von den Partisanen aufgeweckt worden, die seinen Wagen entleert und ihn selbst erbärmlich zugerichtet haben.

Bei der nächsten Ortsdurchfahrt haben uns kroatische Ustascha überholt, bis es nicht mehr ging. Da haben sie uns von der Straße gedrängt; es hat einen halben Tag gedauert, dann sind wir wieder auf die Straße. Nach nicht ganz zwei Stunden hat uns wieder eine Kolonne eingeholt: die Ustaschas haben auf uns die Waffen angesetzt und uns gezwungen, die Straße frei zu machen: eine endlose Kolonne, auch Verwundete und Tote auf den Fahrzeu­gen. Einer hat mich um mein Fahrrad „erleichtert“, ich hatte es auf dem Wagen, er legte mir die MP an die Brust: „Brzo, brzo“ (lies brso, brso, d. h. schnell, schnell), Der Tag geht zur Neige, in einem Garten wollen wir übernachten. Vorüberziehende Kroaten haben unseren Wagen entdeckt; zwar lag die Mutter darauf, aber die Soldaten haben ihr einen Sack nach dem anderen vom Wagen genommen, desgleichen von den anderen Flüchtlingsfahrzeugen. Es war ein fürchterlicher Gestank, man hat nichts gesehen, erst am Morgen: wir sind durchaus im Menschenkot gelegen und ich auf einem frischen Grabhügel … Das war nun schon die dritte Nacht, und wir kamen nicht weiter, die Militärkolonnen nahmen kein Ende. Eingespannt, die Ochsen wurden unruhig, die Mitzi konnte sie nicht mehr halten, so kam die Mutter. Aber auch sie richtete nichts mehr aus, einer der Ochsen drückte sie an den vorderen Wagen, eine Rippe gebrochen, kein Arzt, Schmerzen, oh du Elend! Ich habe sie auf unseren Wagen gelegt, eine Kiste war ihr Krankenbett. Und wir haben wieder ausgespannt, wieder zurück in den Garten, Nacht, kein Schlafen! Neben mir hat die Stute vom Friedl aus Tschermoschnitz gefohlt, er hat das Junge sofort getötet.

Am Morgen, wieder an die Straße, wieder kein Hineinkommen. Es zog im Augenblick nur Wehrmacht vorbei. Ein höherer Offizier hat angehalten, uns ausgefragt und dann seiner Kolonne befoh­len, uns in ihren Verband einzuschließen. Aber Fuhrwerke, Pferde, Ochsen, dazu wunde Zugtiere, eine schlechte Mischung; trotzdem unser Glück. Wir hören von Gruppe zu Gruppe den Ruf: „Partisanen kommen uns entgegen, ruhig bleiben, nichts rufen, ja nicht schießen!“ Sie kamen, abgerissen, verschmutzt, in verschiedensten Uniformen, die Rote Fahne mit Hammer und Sichel hoch erhoben, vielleicht 40 Mann. Es war schrecklich hier: Waf­fen, zerschossene Fahrzeuge, tote Pferde. Da sind vor kurzer Zeit Kämpfe gewesen! In der Wehrmacht haben wir uns sicher gefühlt und in Erlachstein haben wir den Teil unserer Gottscheer Kolonne getroffen, der uns vor 5 Tagen verlassen hatte. Sie sind hier von den Partisanen aufgehalten worden. Viele Partisanen waren hier, es wimmelte nur so; wir blieben fein in der Kolonne, haben gehört, wie sie geschrieen haben: „Stoj, stoj!“ (d. h. Halt, halt!) Das wäre uns gar nicht eingefallen, aber sie sind dann unse­rer Kolonne nachgerannt und haben – vielleicht zehn – Wagen zurückbehalten; ich war nicht dabei. Nach einer Stunde vielleicht waren wir in Andersburg. Auf der Eisenbahnstrecke standen brennende Züge, immer wieder ist irgendwo etwas explodiert, wahrscheinlich sind auch Menschen in den Waggons verbrannt. In der Ortschaft hat uns eine Einheit Partisanen aufgehalten. Die Wehrmacht mußte ihre Waffen abgeben, durfte dann weiter fah­ren, wir Zivilisten wurden abgetrennt; und wieder ist eine Nacht gekommen. Ein Mann mit einem langen Messer ist durch unse­ren Treck gegangen, hat gedroht; Alles aus, alle werdet ihr hin-gerichtet! Trotzdem durften wir am Morgen mit unseren Wagen weiterfahren, unter Partisanenbegleitung. Sie haben uns dann verlassen, wir waren allein, keine Ustascha mehr und kein deut-sches Militär. Und wieder Nacht auf einer Wiese und wieder Tag, an dem wir bis knapp vor Cilli gekommen sind. Die Tiere waren am Umfallen. So haben wir für sie zuerst Gras eingesammelt, dann erst für uns gekocht und uns hingelegt. Am nächsten Morgen haben uns die Partisanen besucht und ausgefragt, auch nach Namen. Wir waren schon durch die Stadt Cilli, als uns eine Partisaneneinheit aufgehalten hat: Zurück nach Cilli! Am Straßenrand gewartet, dann Rufe „Zivio Stalin, Zivio Tito!“ (Es lebe Stalin, es lebe Tito!), eine Parade mit Tito selbst, einen hal­ben Tag dauerte es und wir kamen mit Beschimpfungen, wie „Faschisten, Nazis!“ davon.

Weiter sind wir aber nicht mehr gekommen, etwa 15 Partisanen haben bei uns Wache gestanden. Dann sind einige Partisanen­offiziere gekommen und haben uns in einen Garten getrieben, rundherum war eine hohe Hecke. In zwei Reihen – wir waren ca. 60 Mann – mußten wir uns aufstellen, vor uns 6 Partisanen mit Maschinengewehren. Dann – schossen sie, in die Luft! Der Par­tisanenmajor nannte uns „Faschisten“ und „Nazis“, die es ver­dient haben, einfach erschossen zu werden: „Aber, wir sind nicht so, wie es euer Hitler mit unseren Leuten getan hat.“ Die Frauen und Kinder, die bei unseren Wägen geblieben sind, haben laut angefangen zu schreien und zu weinen. Die Partisanen sind wieder verschwunden. Ein Beamter der Stadt Cilli hat uns gesagt, wir müssen von der Straße weg, er hat uns auf einen großen Platz geführt, dort sind wir 4 Tage ungestört geblieben. Neben uns hatte eine Partisaneneinheit ihre Unterkunft. Wir haben keinen Grund gehabt, darüber froh zu sein. Und trotzdem, auch sie waren Menschen, haben sogar unseren Kindern Essen gegeben. Hier können wir doch nicht für immer bleiben! Partisanen haben uns nicht beaufsichtigt, also brechen wir auf. An einer Wegkreu­zung haben wir überlegt: Zurück nach Königsberg? (Die Offiziere im Garten, wo man uns zur „Hinrichtung“ aufgestellt hatte und dann „begnadigte“, haben gesagt, wir werden zurück nach Rann gebracht und dort für sie arbeiten.) Aber diese Offiziere sind spä­ter nie mehr gekommen. Sollen wir nach Marburg? Aber, wir haben nichts beschließen müssen, schon wieder waren Partisanen da, haben uns auf eine Hutweide geführt, wo wir fünf Tage geblieben sind.

In der letzten Nacht haben uns LKW-Motoren geängstigt, nahe bei uns sind schwere Wagen stehen geblieben. Dann war nichts, dann auf einmal Schüsse, Schüsse, Schreien, Jammern, Schmer­zensschreie. Ein Hinrichtungskommando! In der Morgendäm­merung mußte meine Mutter austreten; sie ging zum Schützengraben, der dort ausgehoben war (wir haben ihn, seit wir auf diesem Platze waren, als Abort benutzt). Aber, es war kein Graben mehr da, mit Erschossenen aufgefüllt, oberflächlich ver­scharrt, Füße ragten stellenweise noch heraus.

Wir mußten an diesem Tage noch weg, Richtung Königsberg, also zurück; unterwegs wurden wir immer wieder aufgehalten und kontrolliert, so wurde unsere Habe von Mal zu Mal kleiner. In Anderburg gab es wieder Kontrollen, wir blieben über Nacht. Endstation dieses nicht enden wollenden Weges war das Erlachstein: Wir wurden in einen Garten getrieben, die Wägen mußten wir streng (wie beim Militär) aufstellen, dann kam wieder die Kontrolle, und wenn sie durch waren, begannen sie von vorne, drei Tage hindurch. Was da noch übrig blieb, ist nicht der Rede wert. Und immer wieder: „Schweine, Nazis, Faschisten!“ Hier kamen langsam auch die anderen unseres Gottscheer Trecks, die schon vor 14 Tagen von uns getrennt worden waren und seither hier zurückgehalten wurden, zum Vorschein. Ihnen hat man ebenfalls alles sofort weggenommen, sie haben seither hier arbei­ten müssen.

Dann kam der Befehl: Von dem, was jeder noch hat, kann er sich ein Paket von 15 kg machen, in 15 Minuten dort auf dem Platz damit antreten! Ja, dann hier wieder „Kontrolle“, wieder „erleichtert“, dafür ein paar Ohrfeigen bekommen. Den Rest haben wir dann auf ein paar Wägen, die uns die Herren zurückgegeben haben, aufladen dürfen, auch die Alten durften sich darauf set­zen und es ging Richtung Marburg. Ein Tagesmarsch ohne Essen, ohne alles, gehen, gehen. In Windischgratz (es dürfte sich hier um Windischfeistritz handeln; Anmerkung) haben wir übernach­tet, am nächsten Tag waren wir in Thesen/Marburg. Und wieder hat man uns allein gelassen. Im Barackenlager suchten wir uns einen Unterschlupf; drei Tage blieben wir dort, das Essen erbet­telten wir uns von den Bauern. Die Menschen waren gut, Karto­ffeln gab es immer, oft auch Brot und Milch. In der Nähe war auch die Hutter-Villa; unseren Gottscheer Landsmann hatten die Parti­sanen schon verschleppt, seine Frau war noch in der Villa, sie gab uns zu essen. Aber am nächsten Tage war auch sie verschwun­den.

Dann hat man uns die Order gegeben: Nach Brunndorf ins Durch­gangslager, vielleicht 2-3 km entfernt. Aber schon nach wenigen hundert Metern wurden wir wieder von einer Gruppe Bewaff­neter aufgehalten. Sie haben eine Liste mitgehabt und haben Namen von Gottscheer Männern vorgelesen. Ob wir diese ken­nen, ob jemand von diesen hier dabei ist? Ja, einer war dabei, die Partisanen haben ihn selber gefragt, ob er ihn (also sich) kennt, aber niemand hat etwas verraten. Dann haben sie uns wieder auf einen großen Sportplatz getrieben. Auf einer Seite haben sich die Männer aufstellen müssen, auf der anderen Seite die Frauen. Zuerst haben sie von den Männern verlangt, alles auf den Boden zu legen. Bei der Kontrolle haben sie bei einem ein Zündholz in der Hosentasche gefunden und haben ihn dafür fast halbtot geprügelt. Und einer Frau, die bei ihrem 5-6 Jahre alten Mädchen Schmuck und Geld versteckt hatte, ging es ebenso; zuletzt hat man ihr das Kind weggenommen! Die Frauen sind dann auf dem Platze geblieben, die Männer haben sie in einen Keller des ehe­maligen Marburger Hofes getrieben, sie konnten kaum stehen, kaum atmen so eng sei es gewesen. Da kamen zwei Partisanen­offiziere, total betrunken, hinuntergetorkelt, fluchten und began­nen mit einem Schaufelstiel einzuschlagen. War der Stiel gebro­chen, holten sie einen anderen. Einer der Gequälten blieb bewußtlos in einer Blutlache liegen. Dieses Wüten dauerte 2 Stunden. Dann kamen zwei Partisanen und holten 50 Mann aus dem Keller weg; sie kamen nicht mehr zurück. Die übrigen hat­ten nun mehr Platz und auch Luft zum Atmen.

60 Mann waren es jetzt, sie blieben vier Tage in diesem Keller, mußten Reinigungsarbeiten ausführen, sahen dabei auf dem Hofe Teile unserer Habe, zertretene Koffer, Fotos, zerfetzte Kleider herumliegen. Und immer wieder Kontrollen und Fragen: Wer kennt den und den? Wo sind die Verbrecher? Wer hat ein Kriegsverbrechen begangen? usw. usw. Am vierten Tage sind sie dann ins Durchgangslager Brunndorf gebracht worden, haben dort erfahren, daß die anderen Männer, auch die Frauen und Kinder, hier waren, aber schon weiter sind, nach Österreich. Ein Hoffnungsschimmer für sie, aber nicht für alle, denn 14 der stärk­sten behielten sie in Brunndorf zurück, die anderen wurden nach Österreich weitergetrieben. Mein Nachbar in der Heimat berich­tet weiter:

Wir haben in einer Baracke ein Zimmer bekommen und sind Tag für Tag zur Arbeit eingeteilt worden, 3 Monate hindurch. Neben unserer Baracke war ein „Verhörzimmer“. Hier sind Angehörige des jugoslawischen Staates, die während des Krieges in Deut­schland gearbeitet haben, auch solche, die in Einheiten der Deutschen Wehrmacht oder SS gedient haben, „ausgefragt“ worden, Aber wie! Jene unserer Baracke, welche nicht zum Arbeiten eingeteilt waren, konnten es sehen: Die Männer wurden auf einen Tisch gelegt, nackt mit Wasser begossen, dann geschlagen, bis sie bewußtlos waren, dann auf den Boden geschmissen, man trampelte mit den Stiefel auf ihnen herum. Nach einem Monat sind wir aus dieser Baracke weggekommen, es war fürchterlich, da zuzuhören.

Mitte August haben sie uns dann von hier weg in Richtung unga­rische Grenze getrieben, Hrastje (ich, Ludwig Kren, der Bear­beiter, dieses Berichtes nehme an, daß es sich um Schloß Hrastovec, nahe der Mur, südlich von Radenci-Radein, handelt; es haben mehrere Gottscheer von einem Schloß Hrastovetz bei Marburg erzählt, wo sie gefangen waren, haben es dann später irrtümlich mit Schloß Krastowitz/Klagenfurt, verwechselt).

Hier gab es Tag für Tag als „Mahlzeit“ etwas warmes, ungesal­zenes, fettloses Wasser, kein Brot, jeden zweiten Tag eine Semmel; 2.000 Menschen, alles Vertriebene bzw. Flüchtlinge, lebten dort, es war ein Lager, das offiziell nicht existierte. Die Ruhr ging um, täglich Tote; die Toiletten waren verschlossen, alle auf die Latrine im Hof, alles offen, alles durcheinander. Am 5. September entdeckten drei Engländer das Lager; ab sofort gab es zu essen genug. Und schon drei Tage danach wurde das Lager aufgelöst. Jeder mußte eine Zieladresse angeben; wir Gottscheer: Österreich. Die Engländer haben uns mit Lastautos nach Marburg gebracht, von dort ging es in Viehwaggons über Cilli, Laibach und Aßling über die Grenze nach Österreich. In Rosenbach hat uns unsere militärische Begleitung verlassen, wir waren frei!

Ich wollte nach Graz, wo ich meine Mutter mit der Mitzi wußte, mit mir fuhr noch eine Familie aus Altsag. Am 9. September 1945 habe ich meine Lieben in Graz wieder gefunden.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994