aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Unsere Kinder werden in Freiheit leben

von Maria Grill, geb Hönigmann
aus Mitterdorf,

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Ich möchte nicht über die eigenen Erlebnisse auf der Flucht 1945 sprechen, sondern vor allem von einem Vorfall meines Mannes, Heinrich Grill, berichten, weil er es selbst nicht mehr kann. Er ist vor kurzem gestorben.

Heinrich wurde am 24.06. 1911 als zweites Kind des Land- und Gastwirtsehepaares Heinrich und Franziska Grill in Steinwand geboren. Seine beiden Geschwister verstarben im Kleinkindalter, so daß Heinrich als Einzelkind aufwuchs. Er besuchte die Volks-schule in Steinwand und wäre anschließend gerne auf eine Obst­baumschule gegangen, aber sein Vater wollte es nicht. So mel­dete er ihn mit 14 Jahren in seiner Gastwirtschaft als Lehrling an. Als Heinrich 17 Jahre alt wurde, das war 1928, verstarb sein Vater nach schwerer Krankheit. Heinrich bekam 1/3 des Besitzes von 46 ha, den Rest die Mutter. Auch die Gasthauskonzession konn­te nur die Mutter erhalten, da Heinrich erst die Lehrzeit beendet hatte. Er arbeitete in der Gastwirtschaft, im Wald und in der Landwirtschaft, hatte immer 1 oder 2 Knechte und eine Haus­gehilfin, da auch aus dem eigenem Wald Holz geschlägert und gefuhrwerkt wurde. Da sich ein Sägewerk in seiner Nachbar­schaft befand, machten die Fuhrleute gerne bei ihm Rast, bzw. legten bei ihm die Mittagspause ein, denn die Pferde mußten gefüttert werden, bevor es weiter ging. Abends kamen zuweilen die Waldarbeiter in die Gastwirtschaft und sonntags auch die Jugend aus den Nachbarorten, denn Heinrich spielte auch recht gut Ziehharmonika.

Im Dezember 1941 siedelte auch Heinrich mit seiner Mutter und einem Knecht in die Untersteiermark und kamen nach Gurkfeld-Altendorf. Dort wurden sie in ein Haus eingewiesen, in welchem schon ein Ehepaar wohnte. Heinrich und Mutter bekamen zwei Zimmer und Küche. Der Großteil ihrer Möbel wurde im Hofgebäude und unter dem Vordach untergestellt. Zugewiesen wurde ihnen nichts, da man den Standpunkt vertrat, einem Alleinstehenden mit einer alten Mutter könne man nichts zuwei­sen, er soll erstmal heiraten. So wurde Heinrich bei der DAG Oberverwaltung Wiedem-Gurkfeld als Aufseher eingesetzt.

Ich kam im März 1942 durch Sophie Kren zur gleichen Oberver­waltung als Kanzleikraft. Der Diplomlandwirt Hans Rinnhofer aus Langenwang in der Obersteiermark war dort vorübergehend als Oberverwalter eingesetzt. Er brachte mir die amerikanische Buchführung, das Maschinenschreiben und die Kanzleiführung bei. Da ich Lust und Freude an der Arbeit hatte, begriff ich alles schnell. Kurz nach meiner Arbeitsaufnahme erkrankte der Buch-und Rechnungsführer unseres Amtes schwer, er wurde ins Krankenhaus gebracht und kehrte nicht wieder zurück. So war ich allein im Büro und hatte sehr viel Arbeit. Als erstes mußte ich 500 Leute – Gottscheer und Einsatzkräfte – der Krankenkasse nachmelden, die Lohnabrechnungen vornehmen und die Löhne alle 14 Tage auch auszahlen. Dort lernte ich im Sommer 1943 Heinrich kennen, wir verlobten uns und heirateten im Dezember 1943. Als im folgenden Jahre unser Hermann geboren wurde, pausierte ich nur ganz kurz und ging bald wieder halbtägig ins Büro, da man mich dringend brauchte. Mit den Tschermoschnitzer Landsleuten verstand ich mich sehr gut und ebenso mit allen Einsatzarbeitern.

Bald nach unserer Eheschließung schrieb ich an die Ansiedlungs-Treuhandgesellschaft (DUT) in Marburg und ersuchte, uns eine Gastwirtschaft mit etwas Grund und Boden als Ersatz für Heinrichs Vermögen im Siedlungsgebiet zuzuweisen. Nach län­gerer Zeit bekamen wir Antwort, wir sollten uns die Siedlerstelle so und so in Altendorf bei Wisell anschauen. Leider war der Gasthof von einem Bautrupp besetzt. Wir wurden informiert, daß dieser angewiesen sei, das Gebäude zu räumen, es instandzusetzen und die DUT zu informieren, wenn alles in Ordnung gebracht ist. Geschehen ist dort nichts. Es war auch gut, denn Heinrich wurde zur Wehrmannschaft einberufen und kam nur auf Kurz-urlaub nach Hause. Ich arbeitete, wie schon dargelegt, halbtägig im Büro und die Schwiegermutter umsorgte unseren Hermann während meiner Abwesenheit.

Heinrich war immer wieder für längere Zeit in der Wehrmann­schaft an verschiedenen Orten eingesetzt. Im Sommer 1944 war die Einheit in Ratschach im Einsatz, dann wurde sie in Rann sta­tioniert und im September 1944 kam sie nach Königsberg. Dort wurden die 40 – 50 Mann in der Schule untergebracht und mach­ten von dort Einsätze gegen die Partisanen in den Bergen. Am 10. September wurde die Kompanie oder Zug von den Partisanen überfallen. Die Wehrmannschaft verteidigte sich, der Kampf ging den ganzen Tag über, sie riefen um Hilfe nach Rann, da ihnen die Munition ausging. Es kam aber weder Hilfe noch Munition. Die Partisanen legten eine englische Mine an das Gebäude, eine Hauswand wurde eingedrückt, die Mannschaft wurde wehrlos, ohne Munition. Sie mußte sich ergeben.

Als erster wurde der Kompanieführer von den Partisanen gefes­selt und hinausgeführt. Die Mannschaft mußte hinaus und in Zweierreihen aus dem Dorf auf einen Berg gehen. Es war schon dunkel, die Partisanen hatten Taschenlampen. Ein jüngerer Partisan ging neben Heinrich und fragte ihn, ob er nicht der Grill aus Podstenice sei. Heinrich bejahte und frug, was nun mit ihnen geschehen soll. Dieser antwortete: „Die Schuldigen werden gerichtet.“ Heinrich hat ihn nicht erkannt. Nach etwa einer halben Stunde kamen sie oben auf dem Berg zu einem Stall und einem Schuppengebäude. Da kam der Befehl, die Slowenen sollten heraustreten, denn bei der Wehrmannschaft waren etwa die Hälfte Untersteirer-Slowenen. Die Gottscheer-Gefangenen wurden in einen Raum getrieben, mußten sämtliche Wertgegenstände wie Uhren, Ringe, Taschenmesser und Geld abgeben, danach alles bis aufs Hemd und Unterhose ausziehen, auch Schuhe und Socken. Nach einiger Zeit kam der Befehl, die ersten zehn anstel­len, die Hände dem Vordermann auf die Schultern und hinaus. Heinrich war nicht dabei, also noch im Raum, als ein Maschinen­gewehr draußen feuerte. In der 2. Partie war Heinrich dabei. Draußen hörte er das Jammern der angeschossenen Kameraden und er dachte sich, nichts wie weg von hier. Als das Kommando „Schießen“ der Partisanen kam, sprang er nach hinten weg. Er merkte sofort, daß sie vor einem Abhang aufgestellt worden sind, denn er stürzte gleich und kollerte den Berg hinab, überschlug sich mehrmals und landete unten in einem Bach. Hinter sich sah er, einen anderen kollern, ebenfalls weiß in Hemd und Unterhose. Sie redeten sich leise an. Der andere war verletzt, am Bauch. Mit seinem Unterhemd wurde er notdurftig verbunden. Es war finste­re Nacht und sie wußten nicht, wo sie sich befanden. Sie berieten, was zu tun sei. Sie hörten eine Kirchturmuhr schlagen, getrauten aber erst im Morgengrauen sich dem Dorf zu nähern. Es war Königsberg, von wo sie am Abend weggetrieben wurden. Da sahen sie Ustascha Soldaten, die ihnen von kroatischer Seite zu Hilfe kommen wollten. Auch aus Rann traf Hilfe ein, aber lei­der alles zu spät.

18 Gottscheer wurden als Gefangene von den Partisanen erschos­sen, nur Heinrich und Franz Perz aus Neubacher haben sich durch einen Sprung nach hinten retten können.

Unter den Niedergeschossenen befand sich auch Franz Sobetz aus Kerndorf, er wurde aber nicht tödlich getroffen. Er blieb ruhig liegen, die Partisanen zogen einfach ab und er erzählte dann, daß er nach einer Weile aufstand und den Weg zurücklief, den sie vor-her hinauf getrieben wurden, Die Partisanen waren wohl in ande­rer Richtung abgezogen, so kam auch er mit dem Leben davon.

Drei von der Kompanie wurden gleich beim Überfall, also im Kampf erschossen. Diese wurden nach Gurkfeld und nach Wiedem Altendorf überführt und dort beerdigt. Was mit den Hingerichteten 18 Kameraden geschehen ist, wußte mir Heinrich nicht zu sagen. Er meinte, daß sie die Partisanen nachträglich ver­scharrt haben.

Heinrich bekam eine Woche Urlaub, kam aber nicht wieder nach Königsberg, auch nicht nach Drachenburg. Von den Slowenen, die mit ihm in der Kompanie bei der Gefangennahme waren, hat er nie mehr etwas gehört. Er hielt es für wahrscheinlich, daß sie mit den Partisanen gegangen sind und dort mitmachten.

Franz Perz, der mit Heinrich entkam, ist später aus Österreich nach USA ausgewandert, aber ich habe nicht erfahren können, ob er noch lebt und wo. Soweit mir bekannt ist, war er älter als Heinrich. Und Herr Sobetz lebte hier in der Steiermark und ist ebenfalls vor einiger Zeit verstorben. Unter den Hingerichteten waren drei gute Freunde von Heinrich, die ich auch gekannt habe. Der eine war in Gottschee sein zweiter Nachbar. Dessen Frau ist vor 4 Jahren ganz in unserer Nähe verstorben, sie hatten keine Kinder.

Bis zu seinem Tode hat Heinrich oft über die Sinnlosigkeit der Kriege nachgedacht. Vom Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien hat er noch gehört und gelesen, von den unbegreiflich grausamen Morden, Quälen und Schänden – gar nicht so weit von unserer alten Heimat Gottschee entfernt – in Bosnien nicht mehr. Er starb im beruhigenden Bewußtsein, daß unsere Kinder in Freiheit leben werden und nicht mehr in einen Hexensabbat des Balkans hineingezogen werden können …

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994