aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Vier Monate im Sammellager Sterntal

von Pfarrer Heinrich Wittine,
Skrill bei Gottschee,
gest. in Premstätten bei Graz

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„Die Gottscheer kehren ins Mutterland zurück!“ Dieser Ruf erweckte Hoffnung, wenn auch Traurigkeit dabei war. Welche Enttäuschung aber dann: die Untersteiermark sollte es sein, das neue Heimatland. Aber es war zu spät, wir hatten zu gehorchen. Vollends gingen uns die Augen auf, als wir in die Gegend um Rann und Gurkfeld kamen, aus der man die slowenischen Bewohner weggebracht hatte. Das hatten wir nicht gewollt, hier bleiben wir nicht! Aber wir wurden nicht gehört. Manche woll­ten den ihnen zugewiesenen Besitz nicht übernehmen, taten es erst nach massivem Druck und offenen Drohungen seitens der Ansiedlungsbehörden bzw. der politischen Stellen. Niemand durfte die Gegend ohne besondere Bewilligung verlassen; die Männer und Burschen wurden in die Wehrmannschaft gezwun­gen und gegen Partisanen eingesetzt. Der Gauleiter hielt die Ansiedler bis in die letzten Tage fest, erst am 8. Mai 1945 kam die Bewilligung zum Verlassen des Landes. Aber es war schon viel zu spät und alles, was die Flüchtenden vorerst auf Wägen aufgeladen hatten, war nach den wiederholten Kontrollen durch Partisanen für sie verloren. Ein Kreuzweg hatte begonnen!

Am Pfingstsamstag, dem 19. Mai 1945, wurden auf dem Bahnhofe von Marburg die Männer von ihren Familien getrennt, 1.500 Menschen auseinandergerissen. 50-60 Waggons mit Lebensmit­teln und Kleidern blieben zurück, jeder durfte nur einen Koffer oder Rucksack mit sich nehmen, manchem der Unglücklichen wurde auch dieses letzte Gepäckstück bald entrissen. Ungefähr 120 Männer, darunter einige 14-15jährige Burschen, brachte man in die Stadt ins Finanzgebäude, die Frauen, kleinen Kinder und älteren Männer wurden nach Österreich abgeschoben. Wir mußten am nächsten Morgen zum Verhör, dann den ganzen Tag im Hofe warten, auch hier übernachten. Nachdem wir alles abge­geben hatten, wurden wir vor das Haus getrieben und auf Lastwagen verfrachtet; es ging nach Sterntal. Hier wurden wir nie mehr satt und im Laufe von 12 Tagen starben in unserer Baracke von 120 Insassen zehn, die Zahl der Toten im Lager überstieg (Belegung ca. 9.000) die Tausendergrenze.

Der „All“-tag: Zum Essen führte uns ein junger Partisan, auf sei­nen Befehl hin hatten wir slowenische Lieder zu singen. 70jähri­ge Frauen mußten auf den Tischen tanzen und die Titohymne sin­gen, alles zur Unterhaltung unserer Peiniger. Jeder von ihnen trug eine MP, Mißhandlungen und Erschießungen waren an der Tagesordnung, immer Schimpfwörter und Verfluchungen, ewi­ges „Erleichtern“, und solche Tricks: Einmal wurden wir ins Bad geschickt, in dieser Zeit wurden unsere Kleider durchsucht, „ver­dächtige“ aufgetrennt und so den Internierten oft das letzte Notgeld entwendet.

Am 6. Juni 1945 kam ein Transport von ca. 50 Personen an, Slowenen und Gottscheer, sie wurden zum Empfang sofort mit dicken Stöcken geprügelt, manche von diesen haben sich von den Mißhandlungen nicht erholt. Dann schlug man die Internier­ten mit einer Latte auf die Fingernägel, eitrige Entzündungen waren die Folge. Oder man hieb ins Gesicht, bis es so ver­schwollen war, daß der Mißhandelte nichts mehr sah. In manchen Baracken mußten die Eingewiesenen in der Nacht auf Befehl der Posten in den Dachstuhl oder auf die Dächer der Baracken klet­tern; wer nicht schnell genug war, dem „half“ der Posten mit dem Gewehrkolben nach. Und floß das Blut endlich, dann mußte man es auflecken („Es ist ja dein eigenes!“). Ich erinnere mich, daß einmal an die 15 Mann zuerst schwer mißhandelt wurden, dann erst durch Genickschuß getötet …

Am schlimmsten trieb es der Lagerkommandant, „Tine“ gerufen; das Mindeste, was es gab: Kaum hatte er uns gesehen, schrie er schon „Lezi-dizi“ (spr. lesi.-disi, d. h. Hinlegen-Auf!). Wehe, es ging nicht sofort jeder zu Boden (und so 20-30 mal auf und nieder); anschließend hatten wir dann vor ihm hin und her zu krie­chen!

Wenn einer der Internierten in der ca. 2 km entfernten Fabrik – wir wurden dorthin zur Arbeit getrieben – einen Rest seines Besitzes, z. B. ein Hemd, eine Hose u. ä. – gegen Brot (2 kg waren die Menge) oder Fett (hier 1/4 kg) eintauschte, mußte er scharf aufpassen, daß es niemand sah, denn der Posten würde es ihm sicher wieder abnehmen.

Sehr schlimm war auch das Ungeziefer, die Wanzen und die Läuse. Jeden Tag galt die Hauptbeschäftigung (wenn wir nicht wieder irgendwie „beschäftigt“ wurden) dieser Plage. So kam ich einmal zu einer „Sonderbehandlung“, am 8. Juli 1945. Ich wusch mein Hemd, da näherte sich der Lagerkommandant, beritten wie seine zwei Begleiter, unserer Baracke. „Nichts Gutes!“ denkt sich ein jeder, daher sprangen zwei Gottscheer durchs Fenster, weg! Aber „Tine“ hatte sie gesehen. Also antreten, Fragen; niemand hat etwas gesehen (es ist ein Wunder, wie gemeinsames Leiden zusammenschmiedet!). Also „Lezi-dizi!“ und das vielleicht eine halbe Stunde. Dann die Frage von „Tine“: „Wer weiß nicht, warum ihr das tun müßt?“ Ich hob die Hand. Ich mußte zum Oberpeiniger kommen, der mir mit der Reitgerte über den nackten Rücken zog, seine Begleiter taten dasselbe, auf Hals, Rücken und Kopf …

Drei Monate waren wir von der Außenwelt vollkommen abge­schnitten, wir durften nicht schreiben (Papier und Bleistift waren verboten, selbstverständlich auch das Buch). Die letzten vier Wochen hatten wir mehr Ruhe, bekamen täglich bis zu 40 dkg Brot und Makkaroni; auch durften wir schreiben, um Wäsche oder so, hatten doch die meisten die Monate hindurch mit einer Hose, einem Hemd auszukommen gehabt. Endlich schlug die Stunde der Befreiung; es kann sein, daß es die Folge des Besuches einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes gewesen ist; sie war Ende August 1945 zu einer Besichtigung im Lager. Am 26. September 1945 wurde ein Zug mit uns voll beladen, es ging in offenen Waggons über Laibach, Rosenbach nach Villach und St. Veit an der Glan/Kärnten; insgesamt ungefähr 300 Gottscheer. Ich war mit 54 kg, abgemagert und mit geschwollenen Füßen, körperlich am Ende, daher brachte man mich im Rettungswagen ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in St. Veit.

Nach sechs Monaten konnte ich es, einigermaßen wiederherge­stellt, verlassen. Aber die drängende Frage wurde ich nicht los: Warum das alles, warum tut der Mensch dem Mitmenschen soviel Leid an. Warum ist es so schwer, dem Zweiten Gebot, jenem der Nächstenliebe, zu folgen?

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994