aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Zu den Meinen ...

von Josef Schlaun,
Dranbank 7,
Leoben

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Am 17. November 1945 wurde ich aus amerikanischer Kriegs­gefangenschaft entlassen, es war im Württembergischen. Aber meine Sehnsucht nach Eltern und Geschwistern war so groß, daß ich mir vornahm, zu ihnen – sie lebten in einem Lager in Eisenerz – zu gelangen, obwohl ich keine Papiere hatte. Kiefersfelden war mein Ziel: Zonengrenze zwischen den US-Truppen und den Franzosen, „Staatsgrenze“ zwischen Deutschland und Öster­reich. Ich fragte mich so durch, bekam auch Tips, konnte aber nicht viel damit anfangen, daher ging ich auf Kundschaft. Südlich der Ortschaft stieg das Gelände sanft an, war dicht bewaldet, allerdings ragten dahinter mächtige Felsen auf. Da müßte also die Grenze irgendwo verlaufen! Solange es Tag war, traute ich mich kaum, in diese Richtung zu schauen, ich fürchtete, man werde auf mich aufmerksam werden, denn es wimmelte förmlich von Soldaten hier in Kiefersfelden. Dann begann es zu dämmern. Ich holte mein Gepäck vom Bahnhof, wo ich es, um nicht aufzufal­len, gelassen hatte. Und schon wenige hundert Meter außerhalb der Ortschaft stieß ich auf einen mannshohen Bretterzaun, der sich ohne irgendeine Lücke durch den Wald zog. Ich muß also drüber! Zuerst warf ich mein Gepäck hinüber und erschrak sehr über den Lärm, den es verursachte. Dann kletterte ich nach, was mit meinem invaliden Arm nicht allzu einfach war.

Nun also, ich war „drüben“! War ich auch in Österreich? Wenn das die Grenze war, dann -wäre es am klügsten, sehr bald und je weiter umso besser davon entfernt zu sein, denn wenn Grenz­wachen kommen, dann kommen sie hier. Ich wandte mich gegen Osten, wo sich der Wald zu lichten schien. In der Ferne gewahr­te ich ein Licht, viereckig – ein Fenster? Ein Wachtposten? Viel Auswahl blieb mir nicht, denn die Felswand rechter Hand stieg abweisend in die Höhe. Aber linker Hand schien sich der Wald mehr und mehr aufzuhellen. Und das viereckige Licht war nun eine Reihe von Lichtern, also ein Haus! Was tun? Vorbeischlei­chen? Aber, wo war ich? Ist es klüger, einfach einzutreten und um den Weg zufragen? Ich faßte mir ein Herz, ging auf das Haus zu und trat ein. Es war ein Gasthaus neben der Straße. Ich warf mein Gepäck in einen dunklen Winkel im Vorhaus, trat in die Gaststube und setzte mich an einen leeren Tisch. Die Kellnerin kam, ich ersuchte sie, mir den Wirt oder die Wirtin herzubitten. Der Wirt kam und ich berichtete ihm. Er lud mich auf ein aus­giebiges Abendessen ein und machte mich mit einem Ehepaar bekannt, das gerade dabei war, nach Hause, nach Kufstein zu fahren. Sie verstauten mein Gepäck vorne unter ihren Beinen und hüllten mich hinten in eine bunte Decke ein. Dann rollten wir die Straße hin, am Zollschranken hatten sie durch die heruntergelas­senen Fenster des Autos ein freundliches Gespräch mit den Beamten – sie waren anscheinend gut bekannt – und schon öff­nete sich der Schranken; von mir hatte niemand Notiz genom­men! Sie luden mich dann ein, über Nacht bei ihnen zu bleiben, was ich gerne annahm.

Am nächsten Tag reiste ich dann weiter, überwand die Zonengrenzen Hochfilzen (französische und amerikanische Zone) und Radstadt (amerikanische und britische Zone) mit Herzklopfen, aber gut, weil mich der Schaffner jeweils in der Toilette eingeschlossen hatte. Dank ihm! Im Zuge hatte ich auch einen gut­mütigen Tiroler kennengelernt; er lud mich in Selzthal, wo wir einige Stunden auf den Anschlußzug nach Hieflau zu warten hatten, ein, mit im Restaurant eine Flasche vom Wein, den er in eini­gen Flaschen nach Wien bringen sollte, zu leeren. Welch ein Glück, denn in dieser Zeit hatten draußen die Briten eine vollkommen überfallsartige Razzia nach Subjekten veranstaltet, die keine Ausweise bei sich hatten. Nun, ich war ein solches „Subjekt“ und verdanke meinem Tiroler „Schutzengel“, daß ich nicht auf dem Perron bzw. im Wartesaal von einem Besatzungs­soldaten nach meinem Ausweis gefragt worden bin.

In Eisenerz stieg ich aus, um das Lager 62 zu suchen. Es ging an den Lagern 64 und 63 vorbei, die Straße wurde immer enger, sodaß die Fichten einander über der Straße die Zweige reichten. Da, Lager 62, im Schatten des Erzbergs! Ob man meine Mutter irgendwie schonend auf mein Kommen vorbereiten sollte? Doch, da vorne, da kamen sie doch, in den Händen an Drahtschlaufen je eine Konservendose, unter den Lagerinsassen, die gerade unterwegs zur Küche waren, um ihr Essen zu fassen: meine Schwester und – meine Mutter! Welch lange Zeit, da wir einan­der nicht mehr gesehen hatten. Und meine Mutter, wie war sie gealtert; ihre ärmlichen Kleider ließen sie noch kleiner, verhärm­ter, hilfloser erscheinen. Aber ich war da, der Krieg aus, damit alles gewonnen!

Für mich begann dann das Leben in einem neuen Lande, aber in Freiheit, mit einer Anstellung in Leoben.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994